Entscheidungsstichwort (Thema)

Recht zur Änderung von Senioritätsregeln für beruflichen Ausstieg durch Tarifvertrag. Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes bei Änderung von beruflichen Ausstiegsregelungen. Beachtung des Rückwirkungsverbotes bei tarifvertraglicher Änderung von Senioritätsregeln. Unterlassung tariflicher Senioritätsregeln

 

Leitsatz (amtlich)

Die Tarifvertragsparteien dürfen die Senioriätsregeln für den beruflichen Aufstieg vom First Officer zum Kapitän durch nachfolgenden Tarifvertrag ändern. Sie haben dabei den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten und dürfen nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen (wie Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2022 - 12 Sa 443/22 -, juris, Revision anhängig unter dem AZ: 1 AZR 32/23).

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2, § 256 Abs. 1, §§ 257-259; GG Art. 9 Abs. 3; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.05.2022; Aktenzeichen 4 Ca 368/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.05.2022 - 4 Ca 368/22 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Mit der Klage verfolgt der Kläger einen Anspruch auf Ausbildung vom First Officer zum Flugkapitän, eine daraus folgende Beförderung, Schadensersatz auf Differenzvergütung sowie die Unterlassung der Anwendung bestimmter tariflicher Senioritätsregeln. Für die Zukunft verlangt er, die Beklagte zu verpflichten, ihn bei künftigen Förderungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Der Kläger ist seit dem 25.09.2017 bei der Beklagten, die vormals als K. Luftverkehrs AG firmierte, bei einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 5.296,75 Euro zuzüglich einer Flugzulage i.H.v. 1.000,00 Euro brutto als First Officer an der Station Düsseldorf beschäftigt. Er ist der Tarifgruppe FO 03 zugeordnet. Der Vereinigung Cockpit gehört der Kläger nicht an. Seinen ersten kommerziellen Flug für die Beklagte erbrachte er am 20.10.2017. Im Anstellungsvertrag vom 21.09.2017, wegen dessen vollständiger Fassung auf die mit der Klageschrift zu den Akten gereichte Kopie verwiesen wird, heißt es u.a.:

3. Geltung von Tarifverträgen

(1) Auf das Arbeitsverhältnis finden die im Betrieb jeweils für die Berufsgruppe des Mitarbeiters einschlägigen, normativ geltenden Verbands- und Firmentarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Derzeit sind dies der Manteltarifvertrag Nr. 6 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der K. GmbH sowie der Vergütungstarifvertrag Nr. 7 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der K. GmbH.

...

Diese Bezugnahmeklausel ist nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien so zu verstehen, dass sämtliche in Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 genannten Tarifverträge Anwendung finden und der zweite Satz - beginnend mit "derzeit" - nur so zu verstehen ist, dass dies eigentlich ein "insbesondere" meint.

Im Zeitraum vom 29.04.2008 bis zum 21.09.2021 fand bei der K. Luftverkehrs AG und nachfolgend der Beklagten der zwischen der K. Luftverkehrs AG und der Vereinigung Cockpit e.V. (im Folgenden: VC Cockpit) abgeschlossene "Tarifvertrag Wechsel und Förderung für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der K. Luftverkehrs AG" vom 29.04.2008 (im Folgenden: TV WeFö) Anwendung. Dieser regelte die Wechselmöglichkeiten zwischen Flugzeugmustern und zwischen konzernangehörigen Fluggesellschaften sowie die Förderung zum Kapitän für die Cockpitmitarbeiter. Er lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 2 Seniorität

(1) Unter Seniorität ist eine besondere Art der Betriebszugehörigkeit zu verstehen, welche nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen festzustellen und zu berücksichtigen ist.

(2) Jedes Jahr wird für die bei EW Beschäftigten eine Senioritätsliste erstellt, die folgende Angaben enthält: laufende Nummer, Vorname, Nachname, TLC, Funktion, Flotte, 1. Kommerzieller Einsatz, Geburtsdatum.

(3) Innerhalb der Senioritätsliste richtet sich die Reihenfolge, in der die einzelnen Beschäftigten aufzuführen sind, nach dem kalendermäßigen Aufeinanderfolgen nach den §§ 3 und 4 festzusetzenden Daten.

§ 3 Festlegung der Seniorität

(1) Die Seniorität bestimmt sich nach dem ersten kommerziellen Einsatz als ununterbrochenen abhängig Beschäftigter an Bord unter Supervision. Haben eine Mehrzahl an Beschäftigten ihren ersten kommerziellen Einsatz am selben Tag, bestimmt sich die Senioritätsfolge nach Maßgabe des Geburtsdatums, so dass ältere Beschäftigte jüngeren vorgehen. ...

(2) Einreihungen in die am 01.05.2008 erstmalig nach diesem Tarifvertrag aufzustellende Senioritätsliste werden in der Weise vorgenommen, dass sich die Senioritätsfolge der dort aufgeführten Beschäftigten zueinander für die Vergangenheit und aus Gründen, die vor dem 01.05.2008 entstanden sind, nicht mehr ändert.

...

§ 5 Erstellung und Führung der Listen

(1) Die nach § 2 Absatz 2 erstellte Senioritätsliste wird von EW geführt und zum 1. April eines jeden Jahres der Personalvertretung Cockpit der EW übergeben. Dan...

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