Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers bei laufendem Antragsverfahren beim Versorgungsamt. Antragstellung vor dem 01.05.2004, Kündigung nach dem 01.05.2004
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber, der sich auf die Ausnahmeregelung des § 90 Abs. 2 a, 2. Alternative SGB IX beruft, ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Drei-Wochen-Frist für eine Entscheidung durch das Versorgungsamt gemäß den §§ 69 Abs. 2 Satz 2, 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX verstrichen ist, weil der behinderte Mensch pflichtwidrig nicht mitgewirkt hat und deshalb die Entscheidung des Versorgungsamtes verzögert wurde. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ist jedoch zu verlangen, dass der Arbeitnehmer sich nach § 138 Abs. 2 ZPO substantiiert zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten erklärt, wenn der Arbeitgeber bei feststehender Fristüberschreitung pauschal die Verletzung von Mitwirkungspflichten behauptet.
2. Der besondere Kündigungsschutz gemäß § 85 SGB IX gilt auch dann, wenn das Versorgungsamt die Schwerbehinderteneigenschaft erst auf einen Widerspruch des behinderten Menschen in einem Abhilfebescheid nach Zugang der Kündigung feststellt, wenn eine fehlende Mitwirkung des behinderten Menschen nicht feststellbar ist.
3. Mangels gesetzlicher Regelung reicht es aus, wenn der Arbeitnehmer in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes den Arbeitgeber binnen eines Monats nach Zugang der Kündigung von dem Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch in Kenntnis setzt.
Normenkette
SGB IX §§ 85, 90 Abs. 2a, § 69 Abs. 2 S. 2, § 14 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen dasUrteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom29.10.2004 – 13 Ca 5326/04 – wird zurückgewiesen.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29.10.2004 – 13 Ca 5326/04 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Januar 2005 3.640,– EUR brutto zuzüglich Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.01.2005, sowie für Februar 2005 weitere 3.640,– EUR brutto zuzüglich Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.02.2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.
4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie Ansprüche des Klägers auf Weiterbeschäftigung und zukünftiges Entgelt.
Der am 05.03.1960 geborene, ledige Kläger ist seit September 1981 als kfm. Angestellter bei der Beklagten, einem Unternehmen der Rüstungsindustrie, zu einem monatlichen Bruttogehalt von 3.640,– EUR mit Aufgaben in der Buchhaltung beschäftigt. Aufgrund der Geschäftsentwicklung traf die Beklagte die grundsätzliche Entscheidung, ihre Holdingstruktur zu verschlanken und übergreifende strategische Funktionen zu beschränken. Es wurde die Entscheidung getroffen, mit einem Schwesterunternehmen in ein Gebäude zu ziehen und das Finanzund Rechnungswesen zusammen zu legen. Ein Arbeitsplatz im Bereich der Rechnungsprüfung sollte entfallen, die übrigen Mitarbeiter der Hauptabteilung „Konzernrechnungsauslegung” sollten zu dem Schwesterunternehmen wechseln. Die Beklagte vereinbarte unter dem 12.04.2002 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan (Bl. 50 ff. d. A.) sowie eine Ergänzungsvereinbarung zum Interessenausgleich vom 12.04.2002 im Einigungsstellenverfahren vom 23.04.2004 (Bl. 64 und 65 d. A.).
Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 17.06.2004 zu einer fristgemäßen Kündigung des Klägers an, nachdem sie zuvor erfolglos geprüft hatte, ob der Kläger in einer anderen Konzerngesellschaft beschäftigt werden könne. Auf den Inhalt des Anhörungsschreibens (Bl. 101 – 105 d. A.) wird Bezug genommen.
Nachdem der Betriebsrat am 25.06.2004 die Anhörungsunterlagen an die Personalabteilung der Beklagten zurückgegeben hatte, ohne eine Stellungnahme abzugeben, sprach die Beklagte noch am gleichen Tag dem Kläger eine Kündigung zum 31.12.2004 aus.
Der Kläger war seit dem Jahre 2000 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 40 anerkannt. Am 01.03.2004 hat er beim Versorgungsamt Düsseldorf einen Verschlimmerungsantrag gestellt. Mit Bescheid vom 25.05.2004 wurde der Antrag zunächst zurückgewiesen. Auf den Widerspruch des Klägers vom 04.06.2004 stellte das Versorgungsamt mit Abhilfebescheid vom 27.07.2004 fest, dass der Kläger rückwirkend ab 01.03.2004 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt ist (Bl. 17 d. A.).
Mit Schreiben vom 25.06.2004, beim Integrationsamt eingegangen am 02.07.2004, stellte die Beklagte einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 08.07.2004 mit der Begr...