Entscheidungsstichwort (Thema)

Recht zur Änderung von Senioritätsregeln für beruflichen Aufstieg im Tarifvertrag. Systemumstellung bei Ausbildung vom First Officer zum Kapitän A320. Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 GG bei Senioritätsregeln. Zulässiger Antrag auf Feststellung von künftig höherer Vergütung wegen beruflichen Aufstiegs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tarifvertragsparteien dürfen die Senioriätsregeln für den beruflichen Aufstieg vom First Officer zum Kapitän durch nachfolgenden Tarifvertrag ändern. Sie haben dabei den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten und dürfen nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen.

2. Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Die Tarifvertragsparteien durften eine Umstellung auf ein System, das tatsächliche Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit mischt (Gruppe 2), vornehmen und dabei zugleich sog. "Altbeschäftigten" (Gruppe 1) Bestandsschutz in ihrer bisher allein arbeitgeberbezogen erworbenen Seniorität zubilligen.

3. Ist nach den tariflichen Prämissen davon auszugehen, dass die Beschäftigungsdauer bei der Arbeitgeberin kein angemessenes Ordnungsmerkmal für den betrieblichen Aufstieg darstellt, ist es tendenziell nicht nachvollziehbar, zu diesem System nach einem bestimmten Zeitraum tariflich für die Zukunft (ab dem 01.01.2019 - Gruppe 3) wieder zurückzukehren. Dies führte hier nicht zum Erfolg der Klage. Ggfs. kann sich ein ab dem 01.01.2019 eingestellter Beschäftigter darauf berufen, dass er aufgrund seiner tatsächlichen, aber nicht auf die Beklagte bezogenen höheren Berufserfahrung gemäß den Kriterien der Gruppe 2 eine bessere Seniorität hat und die Anwendung dieser Senioritätsregeln für Gruppe 2 verlangen. Dies hilft dem vor dem 01.01.2019 eingestellten Kläger aus Gruppe 2 nicht, denn entweder verbleiben diese Beschäftigten in der Seniorität hinter ihm oder aber sie ziehen an ihm vorbei. Einen besseren Platz als bisher kann der Kläger so nicht erreichen.

4. Zu den prozessualen Voraussetzungen der Geltendmachung entgangenen - künftigen - Verdiensts in Form eines Schadensersatzanspruchs.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2, § 256 Abs. 1, §§ 257-259; GG Art. 9 Abs. 3; ZPO § 97 Abs. 1, §§ 308, 322

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 04.05.2022; Aktenzeichen 15 Ca 469/22)

 

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 04.05.2022 - 15 Ca 469/22 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
  3. Die Revision wird zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zeitliche Geltung und die Wirksamkeit der Ablösung der tariflichen Senioritätsregeln. Daraus ableitend macht der Kläger einen Anspruch auf Ausbildung vom First Officer zum Flugkapitän, eine daraus folgende Beförderung, Schadensersatz auf Differenzvergütung sowie die Unterlassung der Anwendung bestimmter tariflicher Seniortiätsregeln auf ihn geltend. Für die Zukunft verlangt er, die Beklagte zu verpflichten, ihn bei künftigen Förderungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Der Kläger war ursprünglich in der Zeit von Dezember 2008 bis Dezember 2017 bei der Air C. PLC & Co. Luftverkehrs AG (im Folgenden "Air C.") als Co-Pilot beschäftigt. Seit dem 12.01.2018 war er bei der Beklagten, die vormals als Euro x. Luftverkehrs AG firmierte, als First Officer in Teilzeit an der Station R. beschäftigt. Grundlage war der Anstellungsvertrag vom 12.01.2018. In diesem hieß es u.a.:

"3. Geltung von Tarifverträgen

(1) Auf das Arbeitsverhältnis finden die im Betrieb jeweils für die Berufsgruppe des Mitarbeiters einschlägigen, normativ geltenden Verbands- und Firmentarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Derzeit sind dies der Manteltarifvertrag Nr. 6 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der Euro x. GmbH sowie der Vergütungstarifvertrag Nr. 7 für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der Euro x. GmbH.

..."

Diese Bezugnahmeklausel ist nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien so zu verstehen, dass sämtliche in Nr. 3 Absatz 1 Satz 1 genannten Tarifverträge Anwendung finden und der zweite Satz - beginnend mit "derzeit" - nur so zu verstehen ist, dass dies eigentlich ein "insbesondere" meint.

Der Kläger war zuletzt der Tarifgruppe F 12 zugeordnet und erzielte ein Bruttomonatsgehalt von 4.842,06 Euro zuzüglich einer Flugzulage in Höhe von 750,00 Euro brutto. Seinen ersten kommerziellen Flug für die Beklagte erbrachte er am 21.01.2018. Die Beklagte beschäftigte im Cockpit sowohl Kapitäne als auch First Officer.

In dem Zeitraum vom 29.04.2008 bis zum 21.09.2021 fand bei der Euro x. Luftverkehrs AG und nachfolgend der Beklagten der zwischen der Euro x. Luftverkehrs AG und der Vereinigung Cockpit e.V. (im Folgenden: VC Cockpit) abgeschlossene "Tarifvertrag Wechsel und Förderung für die Beschäftigten des Cockpitpersonals der Euro x. Luftverkehrs AG" vom 29.04.2008 (im Folgenden: TV WeFö) Anwendung. Dieser regelte die Wechselmöglichkeiten zwischen Flugzeugmustern und zwischen konzernan...

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