Entscheidungsstichwort (Thema)

Entzug der innerbetrieblichen Fahrerlaubnis durch Arbeitgeber des öffentlichen Personenverkehrs

 

Leitsatz (amtlich)

1. §§ 3 und 4 BOKraft vom 21.06.1975 (BGBl. I S. 1573), zuletzt geändert durch Art. 4 der VO vom 22.01.2004 (BGBl. I 2004, S. 117), enthalten keine Rechtsgrundlage dafür, dass der von einem Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs nach § 4 Abs. 1 BOKraft bestellte Betriebsleiter einem Omnibusfahrer die betriebliche Fahrerlaubnis entziehen kann.

2. Ein dennoch durch den Betriebsleiter erfolgter Entzug der innerbetrieblichen Fahrerlaubnis ist kein Verwaltungsakt i. S. von § 35 Satz 1 VwVfG und bindet deshalb nicht das Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs in seiner Entscheidung, dem von einem solchen Erlaubnisentzug betroffenen Omnibusfahrer außerordentlich nach § 626 Abs. 1 BGB bzw. ordentlich gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG personenbedingt zu kündigen

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; VO über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BO Kraft) vom 21.06.1975 (BGBl. I S. 1573) §§ 3-4

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 08.03.2006; Aktenzeichen 4 Ca 4492/05)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 05.06.2008; Aktenzeichen 2 AZR 984/06)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 08.03.2006 – 4 Ca 4492/05 – wird zurückgewiesen.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 08.03.2006 – 4 Ca 4492/05 – teilweise abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat und im Abweisungsausspruch insgesamt zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.971,52 EUR brutto abzüglich 1.045 EUR (Arbeitslosengeld) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2005 zu zahlen. Im Übrigen wird die Zahlungsklage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 24/25 und der Kläger zu 1/25.

4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger stand bei der Beklagten, die ein Nahverkehrsunternehmen in Essen betreibt, zunächst aufgrund des „Ausbildungs-Arbeitsvertrag” vom 01.09.1995 in einem Ausbildungsverhältnis zum Omnibusfahrer. Nach § 6 dieses Vertrages war der Kläger verpflichtet, „bei Ausführung der ihm übertragenen Arbeiten die jeweils in Frage kommenden gesetzlichen und behördlichen Vorschriften – z. B. Unfallverhütungsvorschriften, die Dienstanweisungen des Arbeitgebers, Betriebsvorschriften, das Arbeitszeitgesetz und die Anordnungen seiner Vorgesetzten – zu beachten”.

Ebenfalls am 01.09.1995 unterschrieb der Kläger eine „Erklärung”, in der er unter Ziffer 4 im ersten Satz bestätigt, „nachstehende Vorschriften, Drucksachen usw. erhalten zu haben …”. Als „ausgehändigte Vorschriften” ist am Ende dieser Ziffer 4 u. a. die „Dienstanweisung für den Fahrdienst” (DFStrab, DFKraft bzw. DFSchiff) aufgeführt. Schließlich unterschrieb der Kläger noch am 01.09.1995 eine Erklärung des „Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe” in der es u. a. heißt:

„Die Tätigkeit im äußeren Betriebsdienst als Kraftomnibusfahrer ist nur gestattet, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß „Straßenverkehrs-Zulassungsordnung” (StVZO) und die Bestimmungen der „Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr” (BO-Kraft) erfüllt sind, d. h., wenn

  1. gegen die persönliche Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen. Sie ist u. a. nur dann gegeben, wenn das „Führungszeugnis zur Vorlage bei einer Behörde” und das Verkehrszentralregister keine wesentlichen Eintragungen enthalten.
  2. die geistige und körperliche Eignung durch ein amts- oder betriebsärztliches Zeugnis – auf Verlangen der Behörde ein fachärztliches Zeugnis oder das Gutachten eines amtl. anerkannten med.psych. Institutes (MPI) – nachgewiesen ist.
  3. durch ein Zeugnis die erfolgreiche Teilnahme an einem Lehrgang in „Erster Hilfe” nachgewiesen ist.

…”

Nach erfolgreich abgelegter Prüfung wurde dem Kläger mit Ausbildungs- und Prüfungsnachweis vom 29.12.1995 die Erlaubnis durch den Betriebsleiter bzw. Beauftragten des Betriebsleiters erteilt, die Tätigkeit als KOM-Fahrer mit Personenbeförderung in eigener Verantwortung auszuüben. Ab dem 21.01.1996 wurde der Kläger aufgrund des am gleichen Tag geschlossenen Arbeitsvertrages, der in § 7 eine mit § 6 des „Ausbildungs-Arbeitsvertrag” wörtlich übereinstimmende Regelung enthält, als KOM-Fahrer eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe (TV-N NW) in seiner jeweiligen Fassung Anwendung.

Am 22.11.2005 verrichtete der Kläger seinen planmäßigen Dienst als KOM-Fahrer auf der Linie 166, Kurs 13, Wagennummer: 3734. In der Zeit von 08.54 Uhr bis 09.56 Uhr führte der Fahrmeister der Beklagten, Herr G. L., eine Sonderbeobachtung des Klägers durch. Derartige Sonderbeobachtungen finden in unregelmäßigen Abständen bei allen KOM-Fahrern und Strab-Fahrern der Beklagten statt. Sinn und Zweck dieser Sonderbeobachtungen ist es, die Fahrer, die ansonsten währ...

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