Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzanspruch bei rechtswidriger heimlicher Aufnahme des Arbeitnehmers im persönlichen Bereich. Persönlichkeitsverletzung des Arbeitnehmers durch Detektiv. 1500 Euro Schadensersatz bei unrechtmäßiger Bildaufnahme des Arbeitsnehmers. Abhängigkeit der Höhe des Ersatzanspruchs nach Art. 82 DSGVO von Intensität der Persönlichkeitsverletzung. Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Alleine die rechtswidrige und heimliche Überwachung des Arbeitnehmers durch eine von der Arbeitgeberin beauftragte Detektei, bei der zudem Bilder des Arbeitnehmers in verschiedenen Lebenssituationen zur Bewertung seines Gesundheitszustands gefertigt werden, begründet einen immateriellen Schaden i.S.v. Art. 82 Abs. 1 DSGVO.
2. Zur Bestimmung der Höhe des Schadensersatzanspruchs für den immateriellen Schaden aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO in einem solchen Fall.
3. Anwendungsfall zu einer außerordentlichen Kündigung, die gegen § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG verstößt.
Normenkette
DSGVO Art. 4, 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, 3, Art. 9, 82 Abs. 1, Art. 88; BDSG § 26 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2, § 287 Abs. 1; BGB § 288; ZPO § 92 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Krefeld (Entscheidung vom 17.11.2022; Aktenzeichen 4 Ca 566/22) |
Nachgehend
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 17.11.2022 - 4 Ca 566/22 - wird zurückgewiesen.
II.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 17.11.2022 - 4 Ca 566/22 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.500,00 Euro Entschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.09.2022 zu zahlen.
III.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
IV.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 35 % und der Beklagten zu 65 % auferlegt.
V.
Die Revision wird für beide Parteien betreffend ihr Unterliegen bezogen auf den Entschädigungsanspruch zugelassen. Im Übrigen, d.h. betreffend den Kündigungsschutzantrag wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung sowie über einen Entschädigungsanspruch des Klägers wegen einer erfolgten Überwachung durch eine Detektei.
Die Beklagte bot Beratungs- und Dienstleistungen im Bereich des Digitaldrucks und des digitalen Dokument-Managements an. Sie beschäftigte insgesamt ca. 280 Mitarbeiter an 40 Standorten.
Der am 01.10.1957 geborene ledige Kläger, wohnhaft K. 2, 14109 Q., war seit dem 01.09.2009 bei der Beklagten bzw. bei deren Rechtsvorgängerinnen in verschiedenen Positionen im Vertrieb beschäftigt. Der Kläger bewohnte an der genannten Adresse in Q. ein Haus an einem Hanggrundstück, das über eine Treppe mit 20 Stufen zu erreichen war. Der Kläger war privat krankenversichert. Grundlage der Tätigkeit des Klägers war zunächst der mit einer Rechtsvorgängerin abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 10.08.2009 / 13.08.2009. In diesem hieß es u.a.:
"Mit Wirkung vom 01. September 2009 werden Sie in der Funktionsstufe eines J. GmbH für das gesamte Bundesgebiet eingesetzt. Ihr Dienstsitz ist das Competence Center West in S.. Ihre regelmäßige Arbeitsstätte ist das Homeoffice.
...
Home-Office Regelung
Im Zusammenhang mit ihren überwiegend im Außendienst verbundenen Vertriebsaktivitäten können Sie Ihr Home-Office ab Vertragsbeginn als erste regelmäßige Arbeitsstätte nutzen. ...
Mit einer Frist von sechs Wochen kann diese Regelung bei Vorliegen eines sachlichen Grundes von beiden Seiten geändert werden. Im Fall einer Änderung findet kein Vor- und Nachteilsausgleich statt. Die regelmäßige Arbeitsstätte und Dienstsitz wäre dann das Competence Center Ost. Jede Änderung oder Ergänzung dieser Home-Office Regelung bedarf der Schriftform.
..."
Mit Änderungsvertrag vom 25.06.2010 wurde der Kläger zum Vertriebsleiter Deutschland befördert. Mit weiterem Änderungsvertrag vom 14.11.2013 folgte ab dem 01.01.2014 die Beförderung zum Director Strategic Accounts für P. Z. und die Z.. In der Vertragsänderung vom 14.11.2013/10.01.2014 hieß es u.a.:
"....
Ihr Dienstsitz ist die Hauptverwaltung in F. Ihre regelmäßige Arbeitsstätte ist das Homeoffice.
...
Alle weiteren Bestandteile Ihres Arbeitsvertrages bleiben unverändert bestehen und behalten weiterhin ihre Gültigkeit.
..."
Mit Schreiben vom 27.06.2017 kündigte eine Rechtsvorgängerin der Beklagten das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2017. Der Kläger wurde mit Ausspruch der Kündigung vom 29.06.2017 von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt. Die gegen die Kündigung von dem Kläger erhobene Kündigungsschutzklage hatte vor dem Arbeitsgericht Berlin als auch vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.02.2019 - 19 Sa 1610/19) abschließend Erfolg. Der Kläger blieb nachfolgend unter Fortzahlung der Vergütung weiter freigestellt. Mit Wirkung zum 27.02...