Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung eines Alkoholikers (Rückfall) fristlos hilfsweise fristgerecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit ist grundsätzlich nach den für krankheitsbedingte Kündigungen geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Krankheit ist zwar nicht als wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB generell ungeeignet. Da aber schon an eine ordentlichen Kündigung wegen Erkrankung eines Arbeitnehmers ein strenger Maßstab anzulegen ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen in Betracht. Dies kann i.d.R. nur bei einem Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen in Betracht kommen, da die Einhaltung der Kündigungsfrist eigentlich immer zumutbar sein dürfte.
2. Selbst wenn man bei einem Rückfall eines Alkoholikers für die Beurteilung einer negativen Prognose einen geringeren Maßstab anzusetzen hat, führen selbst zwei Rückfälle nicht zwingend zu einer negativen Prognose. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der alkoholkranke Arbeitnehmer vor dem die Kündigung auslösenden Vorfall mehr als eineinhalb Jahre seine Tätigkeit ohne Beeinträchtigung verrichtet hat.
Normenkette
KSchG § 1; BGB §§ 626, 615
Verfahrensgang
ArbG Wuppertal (Urteil vom 08.03.2010; Aktenzeichen 1 Ca 2434/09 v) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 08.03.2010 – 1 Ca 2434/09 v – teilweise abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die fristgerechte Kündigung des Beklagten vom 28.05.2009 aufgelöst worden ist.
- Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Gehalt für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.10.2010 von 31.567,60 EUR brutto abzüglich 8.448,00 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengelds für diesen Zeitraum zu zahlen.
- Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
- Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweisen ordentlichen Kündigung und über Lohnansprüche des Klägers für die Zeit nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung.
Der Beklagte betreibt die Fachklinik Langenberg. Sie behandelt suchterkrankte Patienten, wobei in erster Linie alkohol-, medikamenten- und drogenabhängige Patienten betreut werden.
Der 61jährige Kläger ist seit dem 01.07.1997 aufgrund Arbeitsvertrages vom 01.04.1997 bei dem Beklagten als Ergotherapeut tätig. Zu seinen Aufgaben gehören ergotherapeutische Maßnahmen im Bereich der Arbeits- und Kreativtherapie, in dessen Rahmen die Patienten von den betreffenden Suchtmitteln entwöhnt werden sollen. Der Kläger ist Alkoholiker. Dies war dem Beklagten bei seiner Einstellung bekannt. Sie erfolgte unter der Annahme, dass der Kläger „trockener” Alkoholiker ist.
Im Spätsommer/Frühherbst 2006 hatte der Kläger einen Rückfall. Am 20.12.2006 wurde bei dem Kläger Alkoholgeruch festgestellt. Der Kläger räumte nachträglich ein, alkoholhaltige Hustentropfen eingenommen zu haben. Ein mit dem Einverständnis des Klägers durchgeführter Test ergab eine Atemalkoholkonzentration in Höhe von 0,76 Promille. Wegen dieses Sachverhalts erhielt der Kläger mit Schreiben vom 10.01.2007 eine Abmahnung. Nach dem am 05.02.2007 erneut während der Arbeitszeit Alkoholgeruch festgestellt wurde, erhielt der Kläger mit Schreiben vom 13.02.2007 eine weitere Abmahnung. Vom 14.03.2007 bis zum 24.04.2007 unterzog sich der Kläger einer stationären Entwöhnungsbehandlung. Danach nahm der Kläger seinen Dienst bei dem Beklagten wieder auf.
Am 16.08.2007 wurde im Rahmen einer Teamsitzung erneut eine Alkoholfahne festgestellt. Ein Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,3 Promille.
Mit Schreiben vom 17.08.2007 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Dagegen erhob der Kläger eine Kündigungsschutzklage. Im Gütetermin vom 22.02.2008 – 5 Ca 2743/07 – 4v nahm der Kläger die Klage zurück, nachdem der Beklagte zuvor die fristlose hilfsweise fristgerechte Kündigung zurückgenommen und erklärt hatte, die Abmahnungen vom 10.01.2007 und 13.02.2007 aus der Personalakte zu entfernen. Es wurde zudem die Arbeitsaufnahme zum 03.03.2008 und die Erfüllung der Urlaubsansprüche für 2006 und 2007 durch die Freistellung bis zur Arbeitsaufnahme vereinbart.
Der Kläger erklärte sich zudem bereit, bei Verdacht eines Alkoholkonsums während der Arbeitszeit sich einer Alkoholkontrolle zu unterziehen. Entsprechende Tests am 03.03.2008 und im September 2008 waren ohne Befund.
Am 22.05.2009, die genaue Uhrzeit (10:00 Uhr oder 12:00 Uhr) ist streitig, wurde von einer Mitarbeiterin des Beklagten beim Kläger Alkoholgeruch festgestellt. Im Einvernehmen mit dem Kläger wurde ein Blutalkoholtest durchgeführt, der einen Atemalkohol von 0,39 Promille und einen Blutalkoholwert von 0,42 Promille ergab. Der Kläger wies zur Erklärung darauf hin, dass er morgens ab 6.00 ...