Entscheidungsstichwort (Thema)
Adressat der Kündigung einer Gesamtbetriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1) Das rechtliche Schicksal einer Gesamtbetriebsvereinbarung ist nicht von der Wahrung einer „Unternehmensidentität” abhängig. Die Reduzierung der Betriebsstruktur eines Unternehmens auf lediglich noch einen Betrieb berührt deshalb die (Fort-)Geltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nicht.
2) Adressat der Kündigung einer Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich allein der Vertragspartner, d.h. bei der Kündigung einer Gesamtbetriebsvereinbarung – soweit noch gebildet – ungeachtet zwischenzeitlicher Umstruktuierungen des Unternehmens der Gesamtbetriebsrat und nicht ein Betriebsrat.
Normenkette
BetrVG § 26 Abs. 2, §§ 47, 50, 77, 88
Verfahrensgang
ArbG Mönchengladbach (Urteil vom 20.11.2003; Aktenzeichen 3 Ca 4013/03) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 20.11.2003 – 3 Ca 4013/03 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.896,43 / nebst Zinsen i.H. von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont- und Überleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 14.08.2003 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aus Anlass seiner 25jährigen Betriebszugehörigkeit ein Jubiläumsgeld zusteht. Der Kläger meint, ihm stünde ein solcher Anspruch nach Maßgabe einer Gesamtbetriebsvereinbarung zu, die die Firma B. Kabel S. AG & Co. als Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem im Unternehmen gebildeten Gesamtbetriebsrat am 07.09.1994 geschlossen hatte. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung (im Folgenden: GBV 94) sah – mit Geltung ab dem 01.01.1995 – die Gewährung einer Sonderzahlung (Jubiläumsgeld) u.a. anlässlich des 25. Dienstjubiläums i.H. eines (Brutto-) Monatseinkommens vor. Zu dem begünstigten Personenkreis zählten zu diesem Zeitpunkt die Mitarbeiter der insgesamt 3 Betriebe des Unternehmens, des Werkes N.-S., in dem der Kläger tätig ist, sowie der Betriebe E. und C.. Bis zum 31.07.2003 zahlte die Beklagte die Jubiläumsgelder. Soweit Dienst-Jubiläen nach dem 31.07.2003 anstanden – wie beim Kläger am 14.08.2003 – sieht die Beklagte sich nicht mehr zu dieser Leistung gehalten. Sie beruft sich auf eine Kündigung der GBV 94 zum 31.07.2003 gegenüber dem Betriebsrat des Werkes in N.-S. mit Schreiben vom 30.04.2003. Dem Gesamtbetriebsrat gegenüber erfolgte mit Schreiben vom 27.01.2004 zum 30.04.2004 vorsorglich eine weitere Kündigung der GBV 94.
Der Kläger ist der Auffassung, ungeachtet der ersten Kündigung zum 30.07.2003 sei die GBV 94 am Tage seines 25jährigen Dienstjubiläums – 14.08.2003 – in Kraft gewesen, da die Beklagte allenfalls dem Gesamtbetriebsrat gegenüber diese Vereinbarung habe wirksam kündigen können.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.896,43 / nebst 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 14.08.2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, mit der dem Betriebsrat in N.-S. am 30.04.2004 zugegangenen Kündigung die GBV 94 gegenüber dem richtigen Adressaten gekündigt zu haben. Aufgrund der zwischenzeitlichen Stilllegung der Betriebe in E. und C. habe sich der Kreis der Begünstigten auf die Mitarbeiter des Werkes in N.-S. beschränkt. Hierdurch habe die Gesamtbetriebsvereinbarung ihren Rechtscharakter als Gesamtbetriebsvereinbarung verloren. Sie habe seit dem letzten Teilakt der Schließung des Vertriebsbereichs des Betriebes in C. zum 30.04.2002 allenfalls als Einzelbetriebsvereinbarung des Betriebes in N.-S. weitergegolten. Ungeachtet der durchgängigen Existenz des Gesamtbetriebrats, der sich allerdings zum 01.01.1995 infolge der Übernahme anderweitiger Betriebe (eines gesellschaftsrechtlich verbundenen Unternehmens) neu konstituiert habe, habe sie von daher die GBV 94 gegenüber dem Einzelbetriebsrat zum 30.07.2003 wirksam kündigen können.
Das Arbeitsgericht hat sich dem im Ergebnis angeschlossen und die Klage mit Urteil vom 20.11.2003 abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zwar richtig gesehen, dass die GBV 94 als freiwillige Betriebsvereinbarung i.S. von § 88 BetrVG nicht nachwirkt und deshalb die Frage der Wirksamkeit ihrer Kündigung zum 31.07.2003 jedenfalls streitentscheidend ist. Es hat jedoch verkannt, dass diese Betriebsvereinbarung zu dem für den Kläger maßgeblichen Jubiläumstag 14.08.2000 fortbestand. Die GBV 94 konnte entgegen der Auffassung der Beklagten nur gegenüber dem Gesamtbetriebsrat gekündigt werden. Deshalb kann der Kläger von der Beklagten nach Maßgabe der GBV 94 die Zahlung von 1.896,43 / brutto verlangen.
I.
Bei der GBV 94 handelt es sich um eine wirksam zustande gekommene kündigungsbedürftige ...