Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtmäßigkeit einer ordentlichen Kündigung wegen grober Beleidigung. Keine fristlose Kündigung bei einmaliger Entgleisung nach mehr als 40 Jahren Betriebszugehörigkeit. Abmahnung als milderes Mittel trotz schwerwiegender Pflichtverletzung

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfall der außerordentlichen Kündigung eines tarifvertraglich ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers, der seinen langjährigen Arbeitskollegen wegen dessen sexueller Orientierung schwer beleidigt hat. Anforderungen an die Darlegung, dass eine Weiterbeschäftigung nach Abmahnung als milderes Mittel ausscheidet. Interessenabwägung bei einmaliger Entgleisung in seit über 40 Jahren im Wesentlichen beanstandungsfreiem Arbeitsverhältnis.

 

Normenkette

BGB § 626; AGG § 12 Abs. 3; KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 140

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 30.07.2020; Aktenzeichen 9 Ca 1459/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 30.07.2020 - 9 Ca 1459/20 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 02.03.2020 aufgelöst worden ist.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger zu 2/10 und die Beklagte zu 8/10. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte betreibt als Anstalt des öffentlichen Rechts das Universitätsklinikum A. mit mehreren tausend Arbeitnehmern. Ein Personalrat ist eingerichtet. Der am 26.10.1960 geborene, einem Sohn zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit Januar 1977 bei der Beklagten bzw. ihrem Rechtsvorgänger zu einem monatlichen Entgelt iHv. zuletzt 3.826,74 € brutto als Gärtner beschäftigt. Er bewohnt eine Werkmietwohnung der Beklagten. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages vom 28.01.1977 gilt für das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), der an die Stelle des Manteltarifvertrags für die Arbeiter der Länder (MTL II) trat. Nach § 34 Abs. 2 TV-L kann das Arbeitsverhältnis nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

In der Gärtnerei des B. sind ca. 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet dort der Kläger mit dem Kollegen Z. zusammen. Herr Z. ist homosexuell, was unter den Kollegen seit langem bekannt ist. Am Morgen des 19.02.2020 wurde der Herrn Z. zugewiesene, in der Halle der Gärtnerei abgestellte Trecker von der ebenfalls dort abgestellten, vom Kläger benutzten sog. "E-Karre" blockiert. Herr Z. forderte den Kläger auf, sein Fahrzeug zur Seite zu fahren. Der Kläger ließ Herrn Z. einige Minuten warten. Als der Kläger um 07.45 Uhr in der Halle erschien und von Herrn Z. erneut gebeten wurde, sein Fahrzeug zur Seite zu fahren, sagte der Kläger zu diesem im Beisein von Kollegen: "Schieb dir doch einen Stock in den Arsch!" Herr Z. erwiderte: "Pass auf, was du sagst, Arschloch!" Darauf sagte der Kläger: "Früher haben sie Schwule vergast" und "Heil Hitler".

Herr Z. forderte den Kläger vergeblich auf, mit ihm zum Vorarbeiter zu gehen, und begab sich daraufhin allein dorthin. Der Vorarbeiter verwies ihn an das Personalbüro. Dort beschwerte sich Herr Z. um 09.30 Uhr über den Vorfall (vgl. Protokoll Bl. 50 GA). Im Verlauf des Vormittags entschuldigte sich der Kläger bei Herrn Z. Dieser nahm die Entschuldigung nicht an. Um 13.30 Uhr wurde der Kläger von Herrn I., einem Mitarbeiter der Personalverwaltung der Beklagten, im Beisein eines Personalratsmitglieds sowie des Vorarbeiters zu dem Vorfall angehört. Nach mehrfachem Nachfragen gab der Kläger die vorgeworfenen Äußerungen zu (vgl. Protokoll Bl. 48 f. GA).

In einem offenen Brief vom 20.02.2020 an den Personaldezernenten der Beklagten sprachen sich neun Kollegen und Kolleginnen aus der Gärtnerei einschließlich des Vorarbeiters für den Kläger aus (Bl. 72 f. GA). Zwar seien die Äußerungen des Klägers nicht zu entschuldigen. Doch habe man den Kläger langjährig nicht als Rassisten oder Feind bestimmter sexueller Orientierungen erlebt. Es könne sich nur um eine extreme Kurzschlussreaktion des Klägers gehandelt haben.

Mit Schreiben vom 25.02.2020, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 44 ff. GA), hörte die Beklagte den Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung an. Der Personalrat widersprach mit Schreiben vom 28.02.2020 (Bl. 13 f. GA). Das massive Fehlverhalten des Klägers sei nicht zu entschuldigen oder zu verharmlosen. Doch sei neben der schwierigen sozialen Lage des Klägers seine besonders lange und weitgehend ungestörte Beschäftigungsdauer zu berücksichtigen. Insbesondere habe der Kläger niemals in der Vergangenheit rassistische, rechtsradikale oder homophobe Äußerungen getätigt. Auch habe er versucht, sich bei Herrn Z. zu entschuldigen. Eine Wiederholungsgefahr werde daher nicht gesehen. Zudem könne sich der Personalrat zur Befriedung ...

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