Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Betriebsratswahl in Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen bei Anordnung des Wahlvorstandes zur persönliche Stimmabgabe der überbetrieblichen Beschäftigten im Kundeneinsatz
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Unternehmen, das Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand hat, muss der Wahlvorstand Leiharbeitnehmern im Fremdfirmeneinsatz im Regelfall Briefwahlunterlagen ohne Aufforderung zusenden. Leiharbeitnehmer gehören zu den Arbeitnehmern i. S. des § 24 Abs. 2 WO, bei denen sich die Betriebsabwesenheit bereits aus der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses ergibt.
2. Unterhält der Arbeitgeber im Beschäftigungsbetrieb eine eigene betriebliche Organisation, kann es sich um einen Betriebsteil i.S. des § 24 Abs. 3 WO handeln. In diesem Fall hat der Wahlvorstand nach billigem Ermessen zu entscheiden, ob aufgrund der räumlichen Entfernung vom Hauptbetrieb eine schriftliche Stimmabgabe geboten ist.
3. Liegen die Voraussetzungen für eine schriftliche Stimmabgabe nach § 24 Abs. 2 WO bzw. § 24 Abs. 3 WO in einem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen für alle oder für die ganz überwiegende Zahl von Arbeitnehmern vor, ist es zulässig, dass der Wahlvorstand generell oder für die ganz überwiegende Zahl von Arbeitnehmern Briefwahl anordnet.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 1; BetrVG § 19; BetrVGDV1WO § 24 Abs. 2 Fassung: 2001-12-11, Abs. 3 Fassung: 2001-12-11; BetrVG § 19 Abs. 1; WahlO BetrVG § 24 Abs. 2; WahlO BetrVG § 24 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 20.11.2014; Aktenzeichen 15 BV 10/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) - 11) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 20. November 2014 - 15 BV 10/14 - abgeändert.
Die am 25. März 2014 stattgefundene Wahl des Betriebsrates, des Beteiligten zu 12), im Unternehmen der Beteiligten zu 13) für den Betrieb der Nordregion wird für unwirksam erklärt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Beteiligte zu 13) betreibt bundesweit ein Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen mit mehreren 100 unselbstständigen Niederlassungen. Rund 90 % ihrer Mitarbeiter sind "überbetriebliche Mitarbeiter", d.h. Mitarbeiter im Einsatz bei Kunden, die von rund 10 % internen Mitarbeiter betreut werden. In so genannten R. Projekten sind überbetriebliche Mitarbeiter langfristig bei Kunden beschäftigt und werden im Kundenbetrieb selbst von internen Mitarbeitern betreut. Insbesondere unter den überbetrieblichen Mitarbeitern findet sich ein hoher Anteil ausländischer Arbeitnehmer unterschiedlicher Nationalitäten. Aufgrund des Zuordnungstarifvertrags aus November 2009 (Anlage JG, Bl. 12-18 d. A.) sind drei Regionalbetriebe - [Regionen] - (Nord, Ost, Süd) gebildet, deren Betriebsratsgremien aus mindestens 39 Betriebsratsmitgliedern bestehen. Vorliegend im Streit steht die Betriebsratswahl für die Nordregion (reichend von F. bis F1, von A. bis L.), in der rund 16.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Sitz des Betriebsrats der Nordregion (Beteiligter zu 12) ist Hamburg.
Die als Listenwahl aufgrund von 10 gültigen Wahlvorschlagslisten durchgeführte Betriebsratswahl erfolgte aufgrund Wahlausschreibens vom 30. Januar 2014 (Anlagen JG 2, AG 1, Bl. 19-21, 66-68 d. A.) am 25. März 2014. Das Wahlausschreiben wurde ab dem 30. Januar 2014 in den Niederlassungen an den schwarzen Brettern ausgehängt. Dort befand sich außerdem ein Hinweis auf in den Niederlassungen einsehbare Ordner, in denen sich neben Wählerliste und Wahlordnung auch Übersetzungen des Wahlausschreibens sowie eines Wahlinformationsschreibens in 11 Sprachen - Englisch, Französisch, Türkisch, Griechisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Russisch, Polnisch, Serbisch, Arabisch - (Anlage AG 2, Bl. 69 - 130 d. A.) befanden.
In der Wählerliste waren auch sieben Arbeitnehmer aufgeführt, die - organisatorisch der der Südregion zugeordneten Niederlassung E. zugehörig - in K. arbeiten. Sie waren auch in die Wählerliste zur Betriebsratswahl der Südregion eingetragen. Bezüglich dieser Arbeitnehmer hatte der Wahlvorstand Wahlberechtigung und Wählbarkeit zum Betriebsrat der Nordregion für die Betriebsratswahl 2010 noch verneint. Ein hiergegen gerichtetes einstweiliges Verfügungsverfahren (erstinstanzliches Az. 17 BVGa 1/10) war beim Arbeitsgericht und beim Landesarbeitsgericht Hamburg erfolglos.
In K. befindet sich in dem Geschäftshaus unter der Anschrift B.-Platz, K. eine Niederlassung der Beteiligten zu 13). Dort sind nach den Angaben der Beteiligten zu 1) - 12) in der Anhörung vor dem Beschwerdegericht ca. 30 Arbeitnehmer beschäftigt, bei denen es sich zum einen um Mitarbeiter der Verwaltung der Beteiligten zu 13) und zum anderen um Disponenten handelt. Die Letztgenannten waren zum Zeitpunkt der Wahl für ca. 200 überbetriebliche Mitarbeiter zuständig, die im K.-er Gebiet in verschiedenen Kundenbetrieben eingesetzt waren. Weiterhin unterhält die Beteiligte zu 13) im Raum K. mindestens vier R.-Projekte. Hierbei handelt sich um di...