Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtvermögensrechtlicher Streitgegenstand i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Wertfestsetzung für Schulungskosten und Vergütungen für Betriebsratsmitglieder. Zusammentreffen von nichtvermögensrechtlichen und vermögensrechtlichen Streitgegenständen. Vergütungspflicht für Schulungsteilnahme und Ausfall der Arbeitsleistung als wirtschaftlicher Faktor. Streitwertkatalog der Arbeitsgerichtsbarkeit. "Ne ultra petita-Grundsatz" im Verfahren nach § 33 RVG
Leitsatz (amtlich)
1. Bei dem Streit über den kollektiven Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung seiner Ersatzmitglieder von Kosten und Arbeitsleistung gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG handelt es sich um einen nichtvermögensrechtlichen Gegenstand iSd. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.
2. Bei einem Streit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über die Erforderlichkeit einer Schulung sind für die Wertfestsetzung die Kosten der Schulung sowie die Vergütung der teilnehmenden Betriebsratsmitglieder während der Freistellung maßgebend.
3. Ist neben der nichtvermögensrechtlichen Freistellung der Betriebsräte auch die vermögensrechtliche Freistellung von Kosten streitgegenständlich, gilt für die Wertfestsetzung nur der höhere Wert (§ 48 Abs. 3 GKG).
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird der Arbeitnehmer von seiner Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt, bedeutet dies für den Arbeitgeber, dass er für die Dauer der Freistellung bei eigener Leistungsverpflichtung keine Gegenleistung erhält. Dieser Arbeitsausfall stellt für den Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Faktor dar, welcher als Bezugsgröße für die Ausübung des Ermessens bei der Wertbestimmung heranzuziehen ist.
2. Die auf der Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichtete Streitwertkommission hat einen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit erarbeitet. Dieser entfaltet zwar keine rechtliche Bindungswirkung, stellt aber eine ausgewogene und mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
3. Das Verfahren nach § 33 RVG ist im Gegensatz zum Festsetzungsverfahren nach § 63 GKG i.V.m. § 32 RVG, in dem die Festsetzung auch von Amts wegen festgesetzt und geändert werden kann, ein Antragsverfahren. Das Beschwerdegericht ist deshalb entsprechend § 308 Abs. 1 ZPO an den Beschwerdeantrag gebunden und kann deshalb auch nicht mehr zusprechen als beantragt.
Normenkette
RVG §§ 33, 23 Abs. 3; GKG § 48 Abs. 3, § 63; RVG § 32; BetrVG § 37 Abs. 6; ZPO § 308 Abs. 1; Streitwertkatalog Arbeitsgerichtsbarkeit Nr. II.9.1, Nr. 15.2
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.01.2023; Aktenzeichen 18 BV 8/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Januar 2023 - 18 BV 8/22 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren wird auf 4.321,72 € festgesetzt.
Gründe
I.
Im Ausgangsverfahren stritten die Beteiligten über eine Freistellung für Schulungsveranstaltungen und Tragung von Verpflegungskosten für die zu 3. und 4. beteiligten Ersatzmitglieder eines Betriebsrats.
Der Antragsteller ist der in der Area Hamburg der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat. Die Beteiligten zu 3. und 4. sind Ersatzmitglieder des aus drei Personen bestehenden Betriebsrats.
Der Antragsteller begehrte im Ausgangsverfahren die Freistellung und Tragung von Kosten einer Verpflegungspauschale (iHv 25,00 €/Schulungstag pro Teilnehmer) für die Beteiligten zu 3. und 4. für eine Teilnahme an jeweils dreitägigen Schulungen "BR I - Einführung und Überblick", "BR II - Personelle Angelegenheiten" und "BR III - Soziale Angelegenheiten".
Das Verfahren endete infolge Vergleichs vor dem Arbeitsgericht Hamburg vom 14. November 2022 - 18 BV 8/22 -, wonach sich die Arbeitgeberin verpflichtete, die Kosten für bis zu vier Betriebsratsmitglieder (ggfs. inklusive Ersatzmitgliedern) für die Schulungen BR I - Einführung und Überblick, BR II - Personelle Angelegenheiten, BR III - Soziale Angelegenheiten, in der Zeit vom 14. bis 16. Februar 2023 (BR I), vom 14. März bis 16. März 2023 (BR II) sowie vom 11. bis 13. April 2023 (BR III) zu tragen und wonach die Beteiligten sich einig sind, dass die an den genannten Schulungen teilnehmenden (Ersatz-) Betriebsratsmitglieder für diese Zeiten der Veranstaltung nach § 37 Abs. 2 und 6 BetrVG freigestellt werden.
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2022 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats die Festsetzung eines Gegenstandswertes auf 10.450,00 € und führte aus, nach dem Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit sei für die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds im Einzelfall jeweils der Hilfswert, § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, zugrunde zu legen (II.9.1). Bei Schulungskosten handele es sich um eine vermögensrechtliche Streitigkeit (II.15.2). Für die - auf Tragung der Verpflegungspauschale gerichteten - Anträge zu 1) und zu 3) sei ein Wert von 450,00 € festzusetzen. Für die - auf Freistellung gerichteten - Anträge zu 2) und zu 4) seien...