Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Beschluss vom 23.05.1995; Aktenzeichen 22 Ca 452/92) |
Tenor
Auf die Beschwerde von Herrn Rechtsanwalt … vom 6. Juni 1995 wird der Beschluß des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. Mai 1995 – 22 Ca 452/92 – wie folgt abgeändert:
Die vom Beschwerdeführer beantragten Differenzkosten sind festzusetzen und bis zur Höhe der Regelgebühren einzuziehen und an den Beschwerdeführer auszukehren.
Tatbestand
I.
Die Beschwerde gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23. Mai 1995 ist gemäß § 128 Abs. 4 BRAGO statthaft. Sie ist auch formgerecht erfolgt (§§ 569, 574 ZPO) und mithin zulässig (§ 128 Abs. 4 BRAGO).
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist auch begründet.
Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht den Antrag auf Festsetzung der Differenzgebühr gemäß § 124 BRAGO bzw. auf Einziehung der weiteren Vergütung über die Deckung der in § 122 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO bezeichneten Kosten hinaus (§ 128 BRAGO) zurückgewiesen. Die Entscheidung des Arbeitsgericht entspricht zwar der bisherigen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Hamburg u.a. in den Entscheidungen vom 27. Juni 1988 (2 Ta 34/87), vom 05. März 1992 (8 Ta 9/91), vom 09. Juni 1993 (4 Ta 22/92) und vom 15. Juni 1994 (6 Ta 28/93). Dieser Rechtsprechung folgt die Beschwerdekammer im Anschluß an die geänderte Rechtsprechung der 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg (Beschluß vom 29. Dezember 1994 – 8 Ta 27/93) nicht.
Nach § 124 Abs. 1 Satz 1 BRAGO zahlt die Staatskasse dem beigeordneten Anwalt die Regelgebühren eines nicht beigeordneten Anwalts, soweit die von ihr eingezogenen Gelder den Betrag übersteigen, der zur Deckung der Gerichtskosten und der verminderten Anwaltsgebühren (§ 122 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) erforderlich ist. Nach wie vor streitig ist, ob die Kosten bereits gedeckt sind, wenn die Beträge, die die PKH-berechtigte Partei gezahlt hat, die Summe aus den Gerichtskosten und den verminderten Gebühren des im PKH-Verfahren beigeordneten Anwalts (§ 123 BRAGO) erreichen, oder ob darüber hinaus auch die Regelgebühren eines nicht beigeordneten Anwalts gedeckt sein müssen.
Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum hält die Staatskasse und damit das Land für verpflichtet, die Raten über den eigenen PKH-Aufwand nach § 122 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO hinaus bis zur vollen Deckung auch der Regelgebühren eines nicht beigeordneten Anwalts von der Partei einzuziehen, der Prozeßkostenhilfe bewilligt wurde (so OLG Hamm Anwaltsblatt 85, 50; OLG Stuttgart Anwaltsblatt 84, 49, jeweils mit weiteren Nachweisen; OLG Köln Anwaltsblatt 84, 103; OLG München Anwaltsblatt 84, 105; OLG Schleswig Anwaltsblatt 84, 457; OLG Frankfurt Juristisches Büro 84, 1723; LAG Nürnberg, Beschluß vom 06.11.1985 – 4 Ta 25/84 – LAGE § 120 ZPO Nr. 3; LAG Köln, Beschluß vom 19.01.1988 – 7 Ta 236/87 – LAGE § 120 ZPO Nr. 7; LAG Düsseldorf, Beschluß vom 05.12.1990 – 7 Ta 237/90 – LAGE § 120 ZPO Nr. 21; LAG Hamburg, Beschluß vom 29.12.1994 – 8 Ta 27/93; Baumbach-Hartmann, ZPO, 50. Auflage, § 120 Anmerkung 7; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Auflage, Rn 14 zu § 120; Wax in Münchener Kommentar zur ZPO, 1993, Rn 27 zu § 120; Zöller/Philippi, ZPO, 19. Auflage, 1995, Rn 22 zu § 120 mit weiteren Nachweisen).
Dagegen geht eine Mindermeinung davon aus, daß die Staatskasse weder berechtigt noch verpflichtet ist, zugunsten des beigeordneten Prozeßbevollmächtigten bei der PKH-berechtigten Partei Ratenzahlungen einzuziehen, die über die Kosten nach § 122 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO und die verminderten Anwaltsgebühren nach §§ 121, 123 BRAGO hinaus auch den Differenzbetrag einer Gebührenforderung nach § 12 BRAGO und einer solchen nach § 123 BRAGO abdecken (so LAG Hamburg vom 27.06.1988 a.a.O.; vom 09.06.1993 a.a.O.; LAG Frankfurt vom 23.04.1986 – 6 Ta 102/86 – LAGE § 120 ZPO Nr. 4; LAG Hamm vom 09.10.1986 – 8 Ta 340/85 – LAGE § 120 ZPO Nr. 5).
Übereinstimmung besteht darüber, daß die Streitfrage, ob die Differenzgebühr durch die Staatskasse einzuziehen ist, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist (siehe OLG Stuttgart Anwaltsblatt 1985, 49). Überdies erschließt sich das Zusammenspiel der zivilprozessualen Vorschriften (insbesondere § 120 ZPO) und der Vorschriften aus der Rechtsanwaltsgebührenordnung (insbesondere § 124) nur schwer. Gewisse Ungereimtheiten bleiben denn auch, gleich welche Ansicht man zu der Streitfrage vertritt (LAG Düsseldorf, Beschluß vom 05.12.1990 – 7 Ta 237/90 – LAGE § 121 ZPO Nr. 21). Gegen die vom Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluß vertretene Auffassung, daß die Differenzgebühr nicht einzuziehen ist, spricht bereits die Formulierung des § 124 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, der eine – überschießende – Einziehung durch die Staatskasse unterstellt. Es kann kaum angenommen werden, daß damit nur die versehentlich zu weit gehende Einziehung gemeint ist. Dann wäre § 124 BRAGO nämlich nur anwendbar, wenn der Rechtspfleger es versäumt hat, rechtzeitig die vorläufige Einstellung der Zahlungen anzuordnen, die der PKH-Berechtigte zu leisten hatte (so zutreffend: ...