Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungleichbehandlung eines Betriebsratsmitgliedes bei der Beförderung. unbegründeter Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin bei nachteiliger Berücksichtigung der Freistellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; die Vorschrift dient (ebenso wie das Ehrenamtsprinzip gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG) der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Betriebsratsmitglieder, damit sie ohne Furcht vor Maßregelungen und Sanktionen der Arbeitgeberin ihr Amt ausüben können.
2. Gemäß § 78 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG gilt dies auch für die berufliche Entwicklung; diese Regelung enthält ein an die Arbeitgeberin gerichtetes allgemeines Verbot, ein Betriebsratsmitglied wegen der Amtstätigkeit in der beruflichen Entwicklung zu benachteiligen.
3. Benachteiligung im Sinne des § 78 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG ist jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Beschäftigten, die nicht auf sachlichen Gründen sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht; eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich.
4. Bei Beförderungsentscheidungen haben Erwägungen, die auf der Betriebsratstätigkeit einer Bewerberin oder eines Bewerbers beruhen, vollständig außer Betracht zu bleiben; auch die Freistellung eines sich bewerbenden Betriebsratsmitglieds darf nicht nachteilig berücksichtigt werden.
5. Allein die negative Berücksichtigung der Freistellung im Rahmen der Auswahlentscheidung führt bereits zu einer Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds; wird das Betriebsratsmitglied nicht in die Auswahl einbezogen, liegt darin bereits die Versagung einer Chance.
Normenkette
BetrVG § 78 S. 2, § 99 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 30.11.2011; Aktenzeichen 4 BV 9/11) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Betriebsrates wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 30. November 2011 - 4 BV 9/11 - teilweise abgeändert:
Der Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin wird abgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Betriebsrates zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Arbeitgeberin zugelassen.
Gründe
A. Die Antragstellerin verlangt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zur Einstellung eines Arbeitnehmers sowie die Feststellung, dass die vorläufige Einstellung dieses Arbeitnehmers aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war.
Die Antragstellerin (= Beteiligte zu 1., nachfolgend: Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen des Gesundheitswesens, das unter anderem eine Klinik im Hamburger Stadtteil S. G. betreibt. In dieser Klinik ist der im Verfahren zu 2. beteiligte Betriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat) gebildet.
Die Arbeitgeberin hat am 27. Mai 2011 eine interne Stellenanzeige für die Position des/der OP-Koordinators/in veröffentlicht. Wegen der Einzelheiten der Stellenausschreibung wird auf die Anlage ASt 1 (Bl. 8 d.A.) Bezug genommen. Auszugsweise heißt es in dieser:
"Folgendes Qualifikationsprofil wird vorausgesetzt:
- Fachärztin/Facharzt für Anästhesiologie
- mehrjährige Berufserfahrung in einem Zentral-OP
- gute Kenntnisse der EDV und Erfahrungen im Umgang mit dem KIS
- ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit und Konfliktlösungspotenzial
- Eigeninitiative und stark ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen sowie organisatorisches Geschick
- Team- und Kooperationsfähigkeit sowie Offenheit im Umgang miteinander.
.. Ihre aussagefähigen Bewerbungsunterlagen senden Sie bitte bis zum 10.6.2011 an die...."
Auf diese Stelle bewarb sich der als Facharzt für Anästhesiologie tätige bereits bei der Arbeitgeberin beschäftigte Herr Gi.. Wegen der Einzelheiten seiner Bewerbung und der in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen wird auf die Anlage AG 2 (Bl. 41 - 65 d.A.) Bezug genommen. Das Bewerbungsschreiben (Bl. 42 d.A.) trägt das Datum 29. Mai 2011 und ist mit dem Eingangsstempel der Arbeitgeberin vom 6. Juni 2011 versehen.
Neben Herrn Gi. bewarb sich auch der Facharzt für Anästhesiologie, Herr Dr. Kü.. Dieser ist bis zum Jahr 2014 zum Mitglied des Betriebsrates gewählt und als Vorsitzender des Betriebsrates seit 2004 zu 100 % von seiner Arbeitsleistung freigestellt. Bis dahin war er als Facharzt für Anästhesie und operative Intensivmedizin tätig. Wegen der Einzelheiten der Bewerbung des Herrn Dr. Kü. vom 7. Juni 2011 und der in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen wird auf die Anlage AG 1 (Bl. 33 - 40 d.A.) Bezug genommen.
Im Bewerbungsschreiben des Herrn Dr. Kü. heißt es am Ende:
"Insofern sehe ich in der Position eines OP-Koordinators .... eine Aufgabe, der ich mich gerne stellen möchte, und die ich, da ich keine Kündigungsfristen einzuhalten habe, jederzeit antreten kann."
Mit Schreiben vom 23. Juni 2011 (Eingang beim Betriebsrat am 24. Juni 2011) bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung gem. § 99 BetrVG zur Versetzung des Herrn Gi. zum 1. Juli 2011 auf die Stelle des OP-Koordinators. Wegen der Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf die Anlage ASt 2 (Bl. 9 - 10 d.A.) Bezug genomm...