Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Betriebsratswahl bei Verkennung der Betriebsratsgröße durch Berücksichtigung von Beschäftigten in freier Mitarbeit
Leitsatz (redaktionell)
1. § 9 BetrVG legt die Betriebsratsgröße anhand der dem Betrieb angehörenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fest; während § 9 BetrVG dabei in den ersten drei Stufen auf die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des § 7 BetrVG abstellt, ist die Bestimmung der Betriebsratsgröße in den folgenden Schritten (ab einer Betriebsgröße von 101 abhängig Beschäftigten) nicht mehr von deren Wahlberechtigung sondern von der bloßen Betriebszugehörigkeit abhängig.
2. Wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist, richtet sich nach der betriebsverfassungsrechtlichen Begrifflichkeit des § 5 BetrVG; im Rahmen des § 9 BetrVG sind daher alle Personen zu berücksichtigen, die in einem Arbeitsverhältnis zur Betriebsinhaberin stehen und in die Betriebsorganisation eingegliedert sind.
3. Die Eigenschaft als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer setzt voraus, dass eine vertragliche Verpflichtung zur Arbeitsleistung besteht; ein Vertrag, der keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründet, ist kein Arbeitsvertrag.
4. Das Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von einer Beschäftigung in freier Mitarbeit durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit; der ein Arbeitsverhältnis ausmachende Grad der persönlichen Abhängigkeit liegt vor, wenn die Dienstleistung im Rahmen einer bestimmten Arbeitsorganisation (insbesondere hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausführung) zu erfüllen ist, und erst recht, wenn eine fachliche Weisungsgebundenheit hinzutritt.
5. § 9 BetrVG regelt die Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder zwingend; hiervon kann weder durch Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarungen oder sonstige Vereinbarungen abgewichen werden, es sei denn, dass nicht genügend wählbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorhanden oder zur Übernahme des Amtes bereit sind.
Normenkette
BetrVG §§ 5, 9, 19 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.10.2010; Aktenzeichen 16 BV 5/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2010 - 16 BV 5/10 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der am 16. März 2010 durchgeführten Betriebsratswahlen im Betrieb der Beteiligten zu 1.
Der Beteiligte zu 2 ist der bei der Beteiligten zu 1 gebildete Betriebsrat.
Bei der Beteiligten zu 1 handelt es sich um ein Verlagsunternehmen. Sie beschäftigt in der Regel mehrere 1000 Arbeitnehmer sowie mehrere 100 sogenannte freie Mitarbeiter. Bei den früheren Betriebsratswahlen hatten die jeweiligen Wahlvorstände diese freien Mitarbeiter für die Festlegung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder gemäß § 9 BetrVG hinzugezogen. Bei der Betriebsratswahl im Jahr 2002 wurden 300 und bei der Betriebsratswahl im Jahr 2006 wurden 500 sogenannte freie Mitarbeiter mitgerechnet. Diese Praxis war der Beteiligten zu 1, mindestens im Jahre 2006, bekannt (Anlage AG 13, Bl. 188 d. A.). Sie hatte in den Jahren 2002 und 2006 dies nicht zum Anlass genommen, die Wahlen zum Betriebsrat anzufechten.
Zur Vorbereitung der im Jahr 2010 anstehenden Betriebsratswahl forderte der Wahlvorstand die Beteiligte zu 1 schriftlich unter dem 7. Januar 2010 auf, ihm Listen aller Arbeitnehmer zu überlassen, u. a. auch eine "Liste der sogenannten freien Mitarbeiter" (Anlage AG 1, Bl. 56 f. d. A.). Ausweislich der anschließend überlassenen Listen über angestellte Arbeitnehmer (männlich/weiblich) waren im Januar 2010 1654 Arbeitnehmer bei der Beteiligten zu 1 beschäftigt (Anlagen AG 2a und AG 2b, Bl. 58 f. d. A. und 75 f. d. A.). In der Liste über "Mitarbeiter im Bereich Stabsabteilung leitende Angestellte" waren 111 Personen aufgeführt (Anlage AG 3, Bl. 90 f. d. A.). Der Wahlvorstand hatte davon 88 Mitarbeiter in die Liste der im Jahr 2010 wahlberechtigten Arbeitnehmer übernommen. Die Liste über die sogenannten freien Mitarbeiter hatte die Beteiligte zu 1 dem Wahlvorstand zunächst nicht zukommen lassen, auch nicht nach dessen schriftlicher Eil-Nachfrage vom 26. Januar 2010 (Anlage AG 4, Bl. 190 d. A.).
Am 27. Januar 2010 erließ der Wahlvorstand sodann ein Wahlausschreiben und teilte darin u. a. mit, dass die Betriebsratswahl am 16. März 2010 stattfinden werde, dass der Betriebsrat aus 19 Mitgliedern zu bestehen habe und dass im Betrieb 2092 Personen beschäftigt seien (Anlage ASt 2, Bl. 12 f. d. A.). Der Personalabteilung hatte der Wahlvorstand dazu intern mitgeteilt, dass er eine geschätzte Anzahl von 350 sogenannten freien Mitarbeitern den im Betrieb beschäftigten Personen hinzurechne. Daraufhin widersprach die Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom 9. Februar 2010 dem Wahlausschreiben, weil freie Mitarbeiter grundsätzlich nicht wahlberechtigt und im Übrigen am Standort Ha. nur 164 freie Mitarbeiter beschäftigt seien (Anlage ASt 3, Bl. 14 f. d. A.). Ein...