Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründungsfrist bei nicht fristgerecht abgesetztem Urteil
Leitsatz (redaktionell)
Die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG ist nach der Neufassung des § 66 Abs.1 S. 2 ArbGG für das Berufungsverfahren nicht mehr anwendbar. Die Berufung muss spätestens sechs Monate nach Verkündung der Entscheidung begründet werden.
Normenkette
ArbGG § 9 Abs. 5 S. 4, § 66 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 05.06.2003; Aktenzeichen 26 Ca 545/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 5. Juni 2003 – 26 Ca 545/02 – wird auf deren Kosten als unzulässig verworfen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der mit Schreiben der Beklagten vom 12. November 2002 zum 31. Mai 2003 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der 1968 geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 1. Januar 1992 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt. Sein durchschnittliches monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt Euro 2.500,00.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet auch der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.
Der Kläger ist während des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten viermal abgemahnt worden. Mit der Abmahnung vom 26. August 2002 (Bl. 17 d.A.) wurde dem Kläger vorgeworfen, am 25. Mai 2002 einen weiblichen Fahrgast mit eindeutig sexueller Tendenz angesprochen zu haben; mit der Abmahnung vom 28. August 2002 (Bl. 20 d.A.), am 10. Juli 2002 der Verkäuferin eines Imbisses nach einer verbalen Auseinandersetzung ein Geldstück ins Gesicht geworfen zu haben, und mit der Abmahnung vom 18. Oktober 2002 (Bl. 26 d.A.), am 18. August 2002 den Dienst verspätet aufgenommen zu haben, weil er es aufgrund fehlerhafter Fahrweise nicht geschafft habe, auf dem Betriebshof W. an einem dort geparkten Bus vorbeizukommen. Mit der Abmahnung vom 25. September 2002 (Bl. 23 d.A.) erhob die Beklagte gegenüber dem Kläger den Vorwurf, am 16. Juli 2002 aufgrund überhöhter Geschwindigkeit beim Abbiegen aus der W.Straße in die Wr.Straße die Kontrolle über den Bus verloren und mit der Baustellenabsperrung kollidiert zu haben, wobei der Bus beschädigt worden sei.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 8. Oktober 2002 (Bl. 38 f. d.A.) widersprach der Kläger den Abmahnungen vom 26. August, 28. August und 25. September 2002 und verlangte deren Entfernung aus der Personalakte.
Mit Schreiben vom 6. November 2002 (Bl. 11 f. d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der von ihr beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 31. Mai 2003 an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung am 12. November 2002 zu.
Mit Schreiben vom 12. November 2002 (Bl. 4 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 31. Mai 2003.
Mit der am 19. November 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die ausgesprochene Kündigung gewandt. Er hat geltend gemacht, der Kündigung fehle die soziale Rechtfertigung. Außerdem hat er zunächst die Anhörung des Betriebsrats als nicht ordnungsgemäß gerügt.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 12. November 2002, zugestellt am 15. November 2002, nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, die verhaltensbedingte Kündigung sei sozial gerechtfertigt, da der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten als Busfahrer durch sein Fahrverhalten und sein Verhalten Kunden gegenüber gröblichst verletzt habe.
Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe am 27. September 2002 in der L., kurz vor der Haltestelle G.Straße, die Fahrradfahrerin Frau R., mit überhöhter Geschwindigkeit, nämlich 35 Km/h überholt und bei dem sogleich erfolgenden Einbiegen in die Haltestellenbucht abgedrängt und dadurch Leib und Leben von Frau R. gefährdet. Am 1. Oktober 2002 habe der Kläger die Kreuzung A.Straße/R.Straße bei Rotzeigen der Ampelanlage überquert, obwohl es ihm bei vorausschauender Fahrweise möglich gewesen wäre, ohne Gefährdung der Fahrgäste rechtzeitig abzubremsen und den Bus zum Halten zu bringen.
Den Vorfall, den die Beklagte mit Schreiben vom 25. September 2002 abgemahnt hat, schildert die Beklagte wie folgt:
Der Baustellenbereich W.Straße/Wr.Straße habe seit Wochen bestanden und sei von diversen Busfahrern tagtäglich problemlos durchfahren worden. Es sei allgemein bekannt gewesen, dass der in Rede stehende Baustellenbereich sehr langsam durchfahren werden musste, nämlich mit einer Höchstgeschwindigkeit von 10 bis 15 Km/h. Die Auswertung der Tachoscheibe zeige, dass der Kläger den Bus nach der Abfahrt von der Haltestelle H.Straße bis auf 42 km/h beschleunigt habe, dann bis auf 28 km/h abgebremst, erneut bis auf 35 km/h beschleunigt, wieder auf 15 km/h abgebremst und nochmals bis 21 km/h ...