Leitsatz (amtlich)
17. Auslegung einer Rationalisierungsschutz-Betriebsvereinbarung
24. Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung wegen Verstoßes gegen eine solche Betriebsvereinbarung.
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 19.01.1993; Aktenzeichen 3 Ca 289/92) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. Januar 1993 – 3 Ca 289/92 – abgeändert.
Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 23.06.1992 zum 31.12.1992 aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 3/4, der Kläger zu 1/4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit seiner am 8. Juli 1992 bei Gericht eingegangenen Klage gegen die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 23 Juni 1992 (Anl. K 1 Bl. 5 f. d.A.) zum 31. Dezember 1992.
Der im Jahre 1943 geborene Kläger ist seit 1972 bei der Beklagten, einem Druck- und Verlagshaus, als Montierer/Fotosetzer – Fachkraft Satz – tätig. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt DM 5.170,–.
Die Beklagte gliedert sich in verschiedene Unternehmensbereiche, u. a. Unternmehmensbereich Zeitschriften (UBZ) und Unternehmensbereich Druck (UBD). Der Kläger war im Unternehmensbereich Druck im Betrieb Hamburg, Mühlenkamp (UBD Hamburg) tätig. Zum Unternehmensbereich Druck gehört außerdem ein Betrieb in Itzehoe mit ca. 2.000 Arbeitnehmern.
Im Hamburger Betrieb Mühlenkamp wurden 47 Mitarbeiter im Betriebsteil Satzherstellung beschäftigt. In dem Betriebsteil Bildherstellung waren 105 Mitarbeiter tätig. Satzarbeiten wurden innerhalb des gesamten UBD nur im Betriebsteil Satzherstellung des Betriebes Mühlenkamp erledigt.
Der Betriebsteil Satzherstellung wurde zum 31. Dezember 1992 von der Beklagten stillgelegt. Hintergrund ist die branchenübliche Nutzung leistungsfähiger redaktioneller Computersysteme, mit deren Hilfe die satztechnische Gestaltung von Redaktionsseiten durch den Einsatz von Redaktionspersonal erfolgen kann.
Seit dem 1. Januar 1993 gibt es für den UBD Hamburg keine Satzaufträge mehr. Die Beklagte organisierte sich hinsichtlich ihrer eigenen – im Unternehmensbereich Zeitschriften hergestellten Produkte („Brigitte”, „Stern”, „Geo” u. a.) um und entzog dem UBD die entsprechenden Aufträge. Andere Unternehmen – Bucerius GmbH („Die Zeit”, „Zeitmagazin”), Ehrlich & Sohn („Frau im Spiegel”) – kündigten ihre Aufträge zum 31. Dezember 1992.
Bereits im Mai und September 1991 kam es hierüber mit dem Betriebsrat des UBD Hamburg zu Gesprächen. Im Januar 1992 wurden die Verhandlungen über einen Interessenausgleich aufgenommen. Am 4. Juni 1992 wurde in der Einigungsstelle das Scheitern des Interessenausgleichs festgestellt, die sodann über einen Sozialplan weiterverhandelte. Durch Beschluß der Einigungsstelle vom 23. Juli 1992 wurde ein Sozialplan aufgestellt (Anl. B 1 Bl. 35 – 39 d.A.) Durch Beschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 24. Januar 1994 – 5 TaBV 1/93 – ist dieser Spruch der Einigungsstelle für unwirksam erklärt worden. Die gegen diesen Beschluß des Landesarbeitsgerichts von der Beklagten eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Ein anderweitiges Ergebnis der Einigungsstellenverhandlungen liegt noch nicht vor.
Bei Beginn der Interessenausgleichsverhandlungen war seitens der Geschäftsleitung darauf hingewiesen worden, daß im anderen Betriebsteil des UBD Hamburg, nämlich im Bereich Bildherstellung, durch vorruhestandsähnliche Regelungen Arbeitsplätze freigemacht werden könnten. Es handelte sich um Tätigkeiten in den Bereichen Foto/Scanner, Scannervorbereitung und Dispositionsplanungen. Es wurden nach Angaben des Klägers neun, nach Angaben der Beklagten fünf derartige vorruhestandsähnliche Regelungen getroffen.
Neun Kollegen des Klägers aus dem Bereich Satzherstellung sind vom UBZ als sog. Schlußredakteure in den Hamburger Betrieb am Baumwall übernommen worden. Diese neun Stellen für Schlußredakteure wurden am 10. Januar 1992 im Betrieb Mühlenkamp ausgeschrieben. Der Kläger bewarb sich erfolglos um eine dieser Positionen. Am 11. Juni 1992 war das Auswahlverfahren beendet. Die Beklagte wählte neun Arbeitnehmer aus, die vom UBD in den UBZ wechseln sollten, und schaltete den Betriebsrat des UBZ gem. § 99 BetrVG ein. Dieser erteilte am 15. Juni 1992 seine Zustimmung. Am 23. Juni 1992 unterzeichneten die neun Arbeitnehmer auf den 11. Juni 1992 rückdatierte Schreiben, mit denen der Wechsel vom UBD zum UBZ erklärt wurde. Die Position eines Schlußredakteurs wird tarifrechtlich mit ca. DM 1.800,– mehr als die Position des Klägers vergütet.
Zehn Arbeitnehmer aus dem Betriebsteil Satzherstellung schlossen mit der Beklagten Aufhebungsverträge, ein Mitarbeiter ging in Rente, drei Arbeitnehmer genießen als Betriebsratsmitglieder Kündigungsschutz gem. § 15 KSchG, für zwei schwerbehinderte Mitarbeiter leitete die Beklagte das Zustimmungs...