Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame außerordentliche betriebsbedingte Kündigung bei Schließung einer Betriebskrankenkasse

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei Schließung einer Betriebskrankenkasse gilt diese gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert.

2. Zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 164 Abs. 4 SGB V kommt es nur dann, wenn der Beschäftigten ein zumutbares Angebot gemacht worden ist; das gilt sowohl für ordentlich unkündbare als auch für ordentlich kündbare Angestellte.

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; SGB V § 154 Abs. 1 S. 2, § 155 Abs. 1 S. 2, § 164 Abs. 3 S. 3, Abs. 4; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 30.11.2011; Aktenzeichen 12 Ca 228/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 30. November 2011 - 12 Ca 228/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren über die gesetzliche Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sowie die Wirksamkeit einer vorsorglichen Kündigung.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine sogenannte geöffnete Betriebskrankenkasse, die etwa 425 Arbeitnehmer beschäftigte und aus einer Fusion der B. Be. mit der B. Ha. entstand.

Die 1964 geborene Klägerin ist Sozialversicherungsangestellte und war seit dem 1. August 1980 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt. Sie erzielte zuletzt auf Teilzeitbasis ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von € 1.560,28. Sie ist nicht aufgrund von auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tariflichen Regelungen ordentlich unkündbar.

Am Standort Ha. ist ein Personalrat gebildet worden. Es existiert ein Hauptpersonalrat.

Die Beklagte nahm in der Vergangenheit finanzielle Hilfen des B.-Systems in Höhe von knapp € 228 Millionen in Anspruch und wies bis zur Einführung des Gesundheitsfonds den höchsten aller Beitragssätze aus. Die gesetzlich vorgeschriebene Entschuldung konnte sie zum Ende des Jahres 2008 nur mittels eines Zuschusses des B.-Bundesverbandes erreichen. Die Auswertung der Daten für das vierte Quartal 2009 ergab einen Überschuss der Ausgaben von € 24,7 Millionen und einen Überschuss der Passiva von € 15 Millionen. Der daraufhin erhobene Zusatzbeitrag war nicht auskömmlich und führte zu zahlreichen Mitgliederverlusten. Für 2009 und 2010 wurde im April 2010 jeweils ein Defizit von etwa € 20 Millionen prognostiziert. Nach Vorlage der Jahresrechnung 2009 stand eine bilanzielle Überschuldung der Beklagten fest. Im Rahmen eines Sanierungskonzepts wurden bis zu € 41,2 Millionen als "Finanzspritze" in Aussicht gestellt worden. Anfang April 2011 wurde festgestellt, dass sich die Versschuldung der Beklagten auf etwa € 70,3 Millionen erhöht hatte. Nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbandes war selbst unter Berücksichtigung realisierbarer Einsparungen durch Sanierungsmaßnahmen mit einem Anstieg der Verschuldung der Beklagten zum Ende des Jahres 2011 auf mehr als € 98 Millionen zu rechnen. Der Vorstand der Beklagten zeigte im Februar 2010 eine Überschuldung der Beklagten an. Außerdem zeigte der Vorstand der Beklagten im April 2010 dem BVA die bilanzielle Überschuldung an. Der B.-Bundesverband und der B.-Landesverband Ba.-W. gingen von einer Überschuldung der Beklagten aus. Im Juli 2010 teilte die Beklagte dem Bundesversicherungsamt (BVA) mit, dass an einem Sanierungskonzept gearbeitet würde, aufgrund dessen die Beklagte bis Ende 2012 entschuldet sein würde. Das Sanierungskonzept basierte auf einer Absenkung von Ausgaben im Verwaltungs- und Leistungssektor durch Reduzierung des Personals, Streichung des Weihnachtsgeldes, Kündigung externer Dienstleistungsverträge Fallvermeidung und Ausbau von Projekten zur Patientenberatung sowie der Erhöhung des Zusatzbeitrages sowie finanzieller Hilfen aus dem B.-System.

Am 7. April 2011 zeigte der Vorstand der Beklagten zu 1 Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung an. Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 schloss das BVA die Beklagte zu 1 zum 30. Juni 2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Wegen der Einzelheiten des Bescheids wird auf die Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18. August 2011 (Bl. 67 ff d.A.) verwiesen.

Am 7. April 2011 zeigte der Vorstand der Beklagten dem Bundesversicherungsamt (BVA) die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Beklagten an. Das BVA ordnete mit einem Bescheid vom 4. Mai 2011 (Anl. B 1, Bl. 51 f. d.A.) die Schließung der Beklagten mit Ablauf des 30. Juni 2011 und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Mit Schreiben vom 9. Mai 2011 (Anl. K 3, Bl. 7 d. A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis nach §§ 153, 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 4 SGB V mit der Schließung zum 30. Juni 2011 ende. In demselben Schreiben wurde der Klägerin mitgeteilt, speziell im Hinblick auf ihre Person bestünden verschiedene Möglichkeiten des weiteren Vorgehens, Näheres sei den Anlagen zu entnehmen.

Die Beklagte fir...

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