Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Tarifautonomie. Stichtagsregelung. Vergütungsabsenkung. Gleichheitssatz. Gleichbehandlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Es liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn mit Wirkung vom 01.10.1996 abgeschlossene Firmentarifverträge für die ab 01.01.1991 eingestellten Arbeitnehmer einer Berufsgruppe einen deutlich stärkeren Abbau tariflicher Ansprüche vorsehen, als dies für andere beschäftigte Berufsgruppen und die bis zum 31.12.1990 eingestellten Arbeitnehmer der gleichen Berufsgruppe gilt.
2. Die stärkere Belastung einer Berufsgruppe verletzt den Gleichheitsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht, wenn die unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt ist. Es ist keinesfalls willkürlich, wenn die Tarifvertragsparteien zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf erwartete Ausschreibungen von Konzessionen im Personennahverkehr bei derjenigen Berufsgruppe die tariflichen Leistungen in besonderer Weise absenken, die unmittelbar in dem Bereich tätig ist, in dem nach der Einschätzung der Tarifvertragsparteien der Wettbewerb zunächst nicht ansteht.
3. Eine Stichtagsregelung, die auf den Zeitpunkt der Einstellung abstellt, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Bei einer solchen Stichtagsregelung handelt es sich um eine Besitzstandsregelung, die an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpft.
Normenkette
TVG § 1 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 26.03.1997; Aktenzeichen 13 Ca 587/96) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26. März 1997 – 13 Ca 587/96 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit tarifvertraglicher Regelungen in einem Firmentarifvertrag, durch die unter Einführung einer auf das Einstellungsdatum 01. Januar 1991 abstellende Stichtagsregelung für die Berufsgruppe der Busfahrer/-innen die bis dahin gewährten tariflichen Leistungen in erheblichem Umfang abgesenkt wurden.
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 18. November 1991 zunächst als Busfahreranwärterin und seit dem 06. Mai 1992 als Busfahrerin tätig. Mit der Ernennung zur Busfahrerin wurde die Klägerin in die Vergütungsgruppe 9 Stufe 1 des Vergütungstarifvertrages gemäß dem Schreiben der Beklagten vom 01. Februar 1994 (Blatt 15 d. A.) eingruppiert, ferner erhielt die Klägerin eine Funktionszulage gemäß Anmerkung 2 des Vergütungstarifvertrages.
Ausweislich des zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrages (Anlage K 1, Blatt 13 f der Akte) sind für das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der jeweils für die Beklagte gültigen Tarifverträge maßgebend. Außerdem ist die Klägerin auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ÖTV an die von der Beklagten mit dieser Gewerkschaft geschlossenen Firmentarifverträge gebunden.
Die Beklagte hatte mit der Gewerkschaft ÖTV folgende Tarifverträge abgeschlossen:
- Einen Manteltarifvertrag (MTV) unter dem Datum vom 01. Dezember 1994, der am 01. Januar 1995 in Kraft trat und mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden konnte, erstmals zum 31. Dezember 1997, § 4 MTV sah eine Wochenarbeitszeit von 37 Stunden vor. § 10 MTV regelte Zulagen für Nachtarbeit in Höhe von 19 % und für Arbeiten an Sonn- und Feiertagen in Höhe von 20 % der Stundenvergütung. In § 14 MTV war die Zahlung eines 13. Monatsgehaltes vorgesehen, welches am 30. November eines Kalenderjahres fällig war und dessen Betrag sich nach der Tabellenvergütung für den Monat November berechnete. Jeder Arbeitnehmer erhielt gemäß § 15 MTV ein Urlaubsgeld in Höhe von 72,5 % des am 01. Januar des jeweiligen Kalenderjahres geltenden Ecklohnes (Eingangsstufe Vergütungsgruppe 6). Der Erholungsurlaub betrug 30 Arbeitstage, § 18 MTV.
- Einen Tarifvertrag über das Vergütungssystem unter dem Datum vom 17. Oktober 1986, der für Busfahrer nach Abschluss der Ausbildung eine Vergütung nach Vergütungsgruppe 9 vorsah.
- Einen Vergütungstarifvertrag vom 01. Dezember 1994, der für die Zeit vom 01. September 1994 bis zum 31. Dezember 1995 Geltung hatte. Danach erhielten die in einem 1-Mann-Betrieb eingesetzten Busfahrer eine Funktionszulage von 7,33 % des Ecklohnes. Gemäß § 3 wurde die Hohe des Pensionskassenbeitrages auf Basis der jeweiligen Tabellenvergütung berechnet, mindestens auf Basis der Vergütungsgruppe 9 Stufe 6.
Auf Grund gesetzlicher Neuregelung der Vergabe der Konzessionen für den öffentlichen Personennahverkehr beabsichtigten die gesetzlichen Aufgabenträger – die Freie und Hansestadt Hamburg und Gebietskörperschaften in Schleswig-Holstein – auslaufende Linienbuskonzessionen auszuschreiben und an den jeweils preiswertesten Anbieter zu vergeben. Die Beklagte sah ihre Wettbewerbsfähigkeit bei der Ausschreibung im Vergleich zu Busunternehmen in privater Hand gefährdet. Vor diesem Hintergrund verhandelte die Beklagte in der ersten Hälfte des Jahres 1996 mit der Gewerkschaft ÖTV über den Abschl...