Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz des einheitlichen Erfüllungsortes von Arbeitsleistung und Vergütung in der Passivphase der Altersteilzeit. Gerichtliche Überschreitung der Grenze zur greifbaren Gesetzeswidrigkeit
Leitsatz (amtlich)
Auch in der Passivphase der Altersteilzeit bleibt es beim Grundsatz des einheitlichen Erfüllungsortes von Arbeitsleistung und Vergütung. Die in der Passivphase fehlende Verpflichtung, die Arbeitsleistung erbringen zu müssen, stellt keinen Umstand i.S.d. § 269 Abs. 1 BGB dar, der dazu führt, als Leistungsort den Sitz der Arbeitgeberin anzunehmen.
Normenkette
GG Art. 103; ArbGG § 46 Abs. 2; ZPO § 36 Nr. 6; ArbGG § 48 Abs. 1a); ZPO § 29; BGB §§ 269, 269 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herne (Aktenzeichen 4 Ca 1557-23) |
Tenor
Als das örtlich zuständige Arbeitsgericht wird das Arbeitsgericht Herne bestimmt.
Gründe
I. Das Arbeitsgericht München ersucht das Landesarbeitsgericht Hamm, das örtlich zuständige Gericht nach den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO zu bestimmen.
Mit ihrer am 18.09.2023 bei dem Arbeitsgericht Herne anhängig gewordenen Klage fordert die Klägerin von der Beklagten, die ihren Sitz in A hat, Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 €. Dazu stützt sich die Klägerin auf einen "Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gem. § 3 Nr. 11c Einkommensteuergesetz" vom 24.04.2023 (im Folgenden: TV einm. Sonderzahlung), an den sie die Beklagte gebunden sieht. Nach § 1 Abs. 2 S. 3 dieses Tarifvertrags erhalten "Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befinden", keine Zahlung.
Die 1961 geborene und seit 1987 (rechnerisch) bei der Beklagten beschäftigte Klägerin befindet sich ausweislich einer Altersteilzeitvereinbarung vom 02.09.2019 in der Passivphase der Altersteilzeit, die am 01.04.2023 begann und bis zum 31.03.2024 andauert. Sie hält den Anspruchsausschluss in § 1 Abs. 2 S. 3 TV einm. Sonderzahlung für rechtsunwirksam.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 25.09.2023 führte das Arbeitsgericht Herne aus, das Arbeitsgericht München dürfte örtlich für die Klage zuständig sein. Mit Schriftsatz vom 25.09.2023 verwies die Klägerin darauf, sie sei zuletzt für die Beklagte am Standort in B tätig gewesen, woraus sich die Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergäbe. Die Beklagte stellte sich mit einem am 02.10.2023 eingegangenen Schriftsatz auf den Standpunkt, die örtliche Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen Arbeitsgerichts Herne folge weder aus dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. § 29 ZP0 noch aus demjenigen des gewöhnlichen Arbeitsortes nach § 48 Abs. 1a) ArbGG. Beide Bestimmungen verlangten, dass ein "tatsächlicher Ort der Arbeitsleistung" existiere. Dies sei angesichts der bereits begonnenen Passivphase nicht mehr der Fall. Der Rechtsstreit sei daher an das Arbeitsgericht München zu verweisen.
Das Arbeitsgericht Herne hat der Klägerin Gelegenheit gegeben, zu diesem Schriftsatz bis zum 13.10.2023 Stellung zu nehmen. Nach Eingang eines weiteren Schriftsatzes der Beklagten vom 06.10.2023, den das Arbeitsgericht an die Klägerin übermittelt hat, hat sich das Arbeitsgericht Herne bereits am 11.10.2023 mit unanfechtbarem Beschluss für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgericht Herne folge weder aus § 29 Abs. 1 ZPO noch aus § 48 Abs. 1a) ArbGG. Die Klägerin befände sich in der passiven Phase der Altersteilzeit. Sie müsse daher weder eine Arbeitsleistung in B erbringen noch existiere ein letzter gewöhnlicher Arbeitsort.
Mit einem nach Erlass dieser Entscheidung am 13.10.2023 bei dem Arbeitsgericht Herne eingegangenen Schriftsatz begründete die Klägerin ihre Auffassung zur örtlichen Zuständigkeit erneut und stützte sich nun erstmals auch auf den Gerichtsstand der Niederlassung nach §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 17 ZPO mit dem - unbestrittenen - Tatsachenvortrag, sie sei für die Beklagte nach einer Versetzung in einer Betriebsstätte in B tätig gewesen.
Mit Beschluss vom 06.11.2023 hat sich das Arbeitsgericht München für örtlich unzuständig erklärt und das Landesarbeitsgericht Hamm nach den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO um Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts ersucht, im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Herne sei für das Arbeitsgericht München nicht bindend. Der Beschluss sei offensichtlich gesetzeswidrig, weil er auf einer Versagung rechtlichen Gehörs der Klägerin beruhe, die ihr Wahlrecht nach § 35 ZPO zwischen verschiedenen Gerichtsständen zugunsten des Arbeitsgerichts Herne ausgeübt habe. So habe das Arbeitsgericht Herne den Rechtsstreit unter Verletzung rechtlichen Gehörs verwiesen, obwohl es nach § 48 Abs. 1a) ArbGG als das Gericht zuständig sei, in dessen Bezirk die Klägerin regelmäßig ihre Arbeit verrichte.
Den Parteien wurde vom ersuchten Gericht Gel...