Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustimmungsersetzung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. außerordentliche Kündigung wegen strafbarer Handlungen. Verdachtskündigung. Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Kassenführung. Erforderlichkeit einer Abmahnung. Wiederholungsgefahr. Negativprognose. ordnungsgemäße Einleitung des Zustimmungsverfahrens. Anhörung des Betriebsrats statt Bitte um Zustimmung
Leitsatz (redaktionell)
Eventuelle Verstöße eines Betriebsratsvorsitzenden gegen Buchführungspflichten einer Speisenkasse rechtfertigen ohne vorherige Abmahnung keine außerordentliche Kündigung, wenn aus der Kasse keine Gelder abhanden gekommen sind.
Normenkette
BetrVG §§ 102-103; KSchG § 15 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Herne (Beschluss vom 17.01.2006; Aktenzeichen 5 BV 35/06) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 17.01.2006 – 5 BV 35/06 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten um die Zustimmung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden.
Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt in R1 ein Seniorenzentrum, in dem ca. 100 Mitarbeiter beschäftigt sind. Im Betrieb der Arbeitgeberin ist ein Betriebsrat gewählt, der ursprünglich aus fünf Personen, seit April 2006 aus sieben Mitgliedern besteht.
Der am 14.01.15 geborene Beteiligte zu 3., verheiratet, ist seit dem 18.02.2000 bei der Arbeitgeberin als Pförtner tätig. Seit Mai 2005 ist er Vorsitzender des Betriebsrats.
Unter dem 23.10.2003 erteilte die Arbeitgeberin eine Dienstanweisung über die Führung der sogenannten Verwahrgeldkasse (Bl. 174 f.d.A.), in der Gelder der Bewohner des Seniorenzentrums verwahrt wurden. Diese Dienstanweisung vom 23.10.2003 war unter anderem auch an den Beteiligten zu 3. gerichtet. Wegen angeblicher Differenzen in der Verwahrgeldkasse kam es im Jahre 2004 zu einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit zwischen dem Beteiligten zu 3. und der Arbeitgeberin – 5 Ca 498/04 Arbeitsgericht Herne –, der mit einem gerichtlichen Vergleich vom 19.03.2004 (Bl. 426 d.A.) endete, wonach der Beteiligte zu 3. ausdrücklich anerkannte, dass es zu seinen arbeitsvertraglichen Pflichten gehört, die ihm anvertraute Verwahrgeldkasse nicht unverschlossen und unbeaufsichtigt zurückzulassen.
Die Mahlzeiten für die Bewohner des Seniorenzentrums wurden früher in einer Zentralküche zubereitet, die ursprünglich von der Arbeitgeberin betrieben und zum 01.07.2006 auf die Firma a3 c1 GmbH ausgegliedert wurde. Wegen der Ausgliederung der Küche kam es zu arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten.
Auch die Beschäftigten der Arbeitgeberin waren nach der Ausgliederung der Küche berechtigt, Speisen der Zentralküche zu beziehen. Für die Abrechnung der Mahlzeiten standen den Arbeitnehmern zwei Abrechnungsmethoden zur Wahl: Zum einen konnten sie mit der Arbeitgeberin einen pauschalen Abzug vom monatlichen Arbeitsentgelt als Sachwertbezug vereinbaren. An diesem Abzugsverfahren nahmen der Betriebsratsvorsitzende, der Beteiligte zu 3., die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und das im April 2006 in den Betriebsrat gewählte Mitglied K6 teil. Die Beschäftigten, die wie die übrigen Betriebsratsmitglieder nicht an diesem Abzugsverfahren teilnahmen, konnten beim Betriebsratsvorsitzenden, dem Beteiligten zu 3. in seiner Funktion als Pförtner Essensmarken kaufen. Als Pförtner führte der Betriebsratsvorsitzende eine sogenannte Speisekasse, die monatlich abgerechnet wurde. Essensmarken für ein Frühstück wurden an die Mitarbeiter zu einem Preis von 1,43 EUR und für ein Mittag- oder Abendessen zu einem Preis von 2,55 EUR verkauft. Die Essensmarken waren im Casino, in dem die Speisen eingenommen wurden, den Mitarbeitern der Zentralküche auszuhändigen. Auf die Sachbezugsmitteilung vom 02.01.2003 (Bl. 65 d.A.) wird Bezug genommen. Eine weitergehende Dienstanweisung über die Handhabung des Bezugs von Speisen aus der Zentralküche existiert nicht.
Der Beteiligte zu 3. und die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende nahmen regelmäßig mit anderen Mitarbeitern der Verwaltung am sogenannten Verwaltungsfrühstück teil. Hierzu trafen sich die Beschäftigten täglich während der Frühstückspause im Casino des Hauses, um gemeinsam zu frühstücken. Allen Beteiligten wurden die Kosten des Frühstücks als Sachwertbezug vom Arbeitsentgelt einbehalten.
Im Oktober 2005 beschloss der Betriebsrat, die regelmäßig stattfindenden Betriebsratssitzungen im vierzehntägigen Turnus in den Zeitraum von 10.30 Uhr bis 14.15 Uhr zu verlegen, wobei in diesen Zeitraum eine 30-minütige unbezahlte Frühstückspause fallen sollte. Hiervon wurde die Leitung des Seniorenzentrums mit Schreiben des Betriebsrats vom 25.10.2005 (Bl. 64, 129 d.A.) informiert. Nach dem Vorbild des Verwaltungsfrühstücks trafen sich die Betriebsratsmitglieder ab November 2005 vor der eigentlichen Sitzung zu einem gemeinsamen Frühstück in ...