Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiordnung. Beweiserhebung. Bewilligungszeitpunkt. Erfolgsaussicht. Hinweispflicht. Kündigungsschutz. Mutwilligkeit. offensichtliche Mutwilligkeit. Prozesskostenhilfe. Rechtsschutzgleichheit. Anforderungen an die gerichtliche Hinweispflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Das Gebot der Rechtsschutzgleichheit von bemittelten und unbemittelten Parteien erfordert es bei der Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags, dass hinsichtlich der richterlichen Hinweispflichten ein ebenso strenger Maßstab anzulegen ist, wie in einem Hauptsacheverfahren. Entsprechendes gilt, wenn im laufenden Verfahren nach Einholung einer Auskunft zu Beweiszwecken ohne nähere Hinweise zur Sach- und Rechtslage über das Prozesskostenhilfegesuch abschlägig entschieden wird.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip wird es nicht gerecht, wenn nicht bezogen auf diesen Zeitpunkt über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden wird.
3. Eine Klage ist mutwillig im Sinne des § 114 S. 1 ZPO, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde.
Es ist grundsätzlich als mutwillig in diesem Sinne anzusehen, wenn vom Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses abhängige Zahlungsansprüche noch vor der Entscheidung über die Kündigungsschutzklage im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht werden. Etwas anderes gilt dann, wenn tarifliche oder einzelvertragliche Ausschlussfristen oder Verjährungsfristen einzuhalten sind und die Gegenpartei sich weigert, eine Erklärung abzugeben, sie werde sich auf den Ablauf einer Ausschluss- oder Verjährungsfrist nicht berufen.
4. Unabhängig von den teilweise unterschiedlichen Voraussetzungen ist jedenfalls in den Fällen, in denen die Gegenseite anwaltlich vertreten ist, in dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe auch ein Antrag auf Beiordnung nach § 11 a Abs. 1 ArbGG zu sehen, soweit Prozesskostenhilfe nicht gewährt werden kann.
5. Offensichtliche Mutwilligkeit im Sinne des § 11 a Abs. 2 ArbGG ist nicht gleichzusetzen mit der Mutwilligkeit im Sinne des § 114 S. 1 ZPO; diese reicht nicht aus, um eine Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 11 a Abs. 1 ArbGG zu verweigern. Dementsprechend kann eine solche Beiordnung für vom Ausgang eines Kündigungsschutzprozesses abhängige Zahlungsansprüche erfolgen.
Normenkette
GG Art. 3, 20; ArbGG § 11a; ZPO § 114; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Herford (Entscheidung vom 11.05.2012; Aktenzeichen 1 Ca 1291/11) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird unter ihrer Zurückweisung im Übrigen der Beschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 11. Mai 2012 (1 Ca 1291/11) teilweise abgeändert.
Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe für den Antrag zu 1) aus der Klageschrift vom 26. Oktober 2011 mit Wirkung vom 17. Februar 2012 bewilligt.
Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.
Dem Kläger wird für den Antrag zu 1) aus der Klageschrift vom 26. Oktober 2011 sowie für den Antrags zu 2) aus dem Schriftsatz vom 22. Juni 2012, soweit er auf Zahlung von Karenzentschädigung bis zum 30. Juni 2012 gerichtet ist, Rechtsanwalt B1 aus V1 beigeordnet mit der Maßgabe, dass Mehrkosten für die Beiordnung eines auswärtigen Anwalts nur bis zur Höhe der Kosten für die Beiordnung eines Verkehrsanwalts zu erstatten sind.
Im Übrigen wird eine Beiordnung zurückgewiesen
Die Bewilligung und die Beiordnung erfolgen mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat.
Eine Beschwerdegebühr ist nicht zu erheben.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen zwei zum 31. Oktober 2011 ausgesprochene Kündigungen, davon eine als ordentliche ausgesprochene Kündigung vom 6. Oktober 2011 sowie eine als außerordentliche mit Auslauffrist erklärte Kündigung vom 19. Oktober 2011, sowie eine Klage auf Zahlung bzw. Feststellung einer entsprechenden Pflicht gerichteten Klage auf Karenzentschädigung.
Der Kläger war bei der Beklagten als Vertriebsleiter seit spätestens 5. Juli 2011 beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag sah eine Probezeit von drei Monaten mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum 15. oder Monatsende vor, danach beträgt die Kündigungsfrist drei Monate zum Quartalsende. Des Weiteren war nach Ablauf der Probezeit ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für insgesamt ein Jahr vereinbart.
Am 6. Oktober 2010 erschien die Laborleiterin und Lebensgefährtin des Geschäftsführers der Beklagten im Büro des Klägers, in dem auch die ihm untergebenen Vertriebsmitarbeiter anwesend waren. Sie hielt ihm empört ein geöffnetes Paket mit Erotikartikeln vor, das ausweislich eines - angeblich - beigefügten Lieferscheins von ihm bestellt worden sei. Sie las die ...