Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen fehlender Mitwirkung im Prüfungsverfahren. Gewährung von Naturalunterhaltsleistungen als geldwerter Vorteil

 

Leitsatz (redaktionell)

Beantragt eine Partei Prozesskostenhilfe, ist sie im Prüfungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet. Im Beschwerdeverfahren gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfe kann eine nach § 120 a Abs. 1 S. 3 ZPO geforderte Erklärung auch dann nachgeholt werden, wenn die Frist für die Erklärung schuldhaft versäumt wurde. § 115 Abs. 1 S. 2 ZPO, der ausdrücklich bestimmt, dass zum Einkommen sämtliche Einkünfte zu zählen sind, die in Geld oder Geldeswert geleistet werden, steht einer Anrechnung der Gewährung von freiem Wohnen nicht entgegen. Bei einem Fall mit Auslandsbezug sind sowohl die Freibeträge gem. § 115 ZPO als auch die als Sachbezugswerte anzurechnenden Beträge auf die Lebensverhältnisse am Wohnort der Klägerin entsprechend anzupassen.

 

Normenkette

ZPO §§ 120 a, 115; ArbGG § 11a Abs. 1; ZPO § 124 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 17.04.2023; Aktenzeichen 6 Ca 2530-19)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 04.05.2023 gegen den Prozesskostenhilfe-Aufhebungsbeschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 17.04.2023 - 6 Ca 2530/19 - wird der Beschluss aufgehoben.

Der Beschluss vom 18.12.2019 wird aufrechterhalten mit der Maßgabe, dass die Klägerin zukünftig Raten in Höhe von 32,00 € aus ihrem Einkommen zu leisten hat.

Der Zeitpunkt des Beginns der Ratenzahlung wird durch das Arbeitsgericht festgelegt.

Diese Entscheidung ergeht kostenfrei.

Die Rechtsbeschwerde wird für die Klägerin zugelassen

 

Gründe

I. Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen fehlender Mitwirkung im Prüfungsverfahren.

Mit Beschluss vom 18.12.2019 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten für ein am 06.05.2020 beendetes Verfahren bewilligt.

Mit Schreiben vom 05.01.2023, zugestellt am 05.01.2023, wurde die Klägerin Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens aufgefordert, eine Erklärung über die Einkommensverhältnisse vorzulegen und eine Frist von einem Monat zur Erledigung gesetzt. Mit Schreiben vom 23.02.2023 wurde an die Erledigung erinnert und eine weitere Frist gesetzt bis zum 24.03.2023. Nachdem diese Aufforderungen unbeantwortet blieben, hob das Arbeitsgericht Bielefeld den Prozesskostenhilfe-Bewilligungsbeschluss vom 18.12.2019 mit weiterem Beschluss vom 17.04.2023 unter Hinweis auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten auf.

Gegen diese dem Prozessbevollmächtigten am 17.04.2023 zugestellte Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde vom 04.05.2023, die am 08.05.2023 bei Gericht einging.

Dieser beigefügt war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie Anlagen, die in polnischer Sprache verfasst waren, da die Klägerin zwischenzeitlich wieder in Polen wohnhaft ist.

Unter dem 15.05.2023 erging ein Nichtabhilfebeschluss mit der Begründung, dass diese Erklärung nicht eigenhändig unterschrieben sei, hinsichtlich der Wohnverhältnisse widersprüchlich und hinsichtlich der Anlagen nicht überprüfbar, da in polnischer Sprache verfasst.

II. Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 11a Abs. 1, 78 ArbGG und §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff ZPO an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache überwiegend begründet.

1. Nach § 11a Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren gem. § 120 a Abs. 1 S. 3 ZPO, nicht abgegeben hat. Ein solches Fehlverhalten setzt in der Regel voraus, dass die Partei unter Fristsetzung ergebnislos zur Vorlage bestimmter, im Einzelnen benannter Belege und/oder zur Abgabe einer Erklärung über eine etwaige Änderung der Verhältnisse aufgefordert worden ist (Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Auflage 2022, Rn. 1009 f , m.w.N.). Kommt die Partei einer solchen konkreten Aufforderung trotz Mahnung nicht in angemessener Zeit nach, ist eine Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung wegen Verletzung der Mitwirkungspflichten gerechtfertigt.

Allerdings kann die Partei im Beschwerdeverfahren gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfe eine nach § 120 a Abs. 1 Satz 3 ZPO geforderte Erklärung auch dann nachholen, wenn sie die Frist für die Erklärung schuldhaft versäumt hat (zuletzt wieder BAG, Beschluss vom 08.12.2020, 9 AZB 59/20, juris; BAG Beschluss v. 18.11.2003, 5 AZB 46/03; NZA 2004, 1062 f; ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammer, siehe nur Beschl. v. 09.07.2012, 5 Ta 736/10).

Hiervon hat die Klägerin Gebrauch gemacht. Zur Überzeugung der Beschwerdekammer hätte daher die Nichtabhilfeentscheidung nicht wie erfolgt ergehen...

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