Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch des Betriebsrates. grobe Pflichtverletzung. Anhörungsverpflichtung nach § 102 BetrVG beim Abschluss eines Abwicklungsvertrages unter gleichzeitigem Ausspruch einer Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG kann nicht angenommen werden, wenn der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen mit einzelnen Arbeitnehmern Gespräche über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung führt und bei Einverständnis des Arbeitnehmers mit diesem eine Abwicklungsvereinbarung unter gleichzeitigem Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung trifft, ohne zuvor den Betriebsrat nach § 102 BetrVG anzuhören.
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 3, § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Arnsberg (Beschluss vom 12.02.2002; Aktenzeichen 1 BV 12/01) |
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 12.02.2002 – 1 BV 12/01 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
A
Im vorliegenden Beschlussverfahren nimmt der Betriebsrat den Arbeitgeber auf Unterlassung in Anspruch.
Der Arbeitgeber betreibt ein Unternehmen der Haushaltstechnik und produziert insbesondere Kochgeschirre und Pfannen und vertreibt diese weltweit. Im Betrieb des Arbeitgebers sind ca. 180 Mitarbeiter beschäftigt.
Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist der im Betriebsrat turnusgemäß gewählte Betriebsrat, der aus sieben Personen besteht.
Im Sommer des Jahres 2001 kam es im Betrieb des Arbeitgebers zu einem Personalabbau. Hierzu sprach der Arbeitgeber gezielt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an und teilte diesen mit, es könne sein, dass betriebsbedingte Kündigungen unumgänglich seien. Mit ca. 15 Mitarbeitern führte der Arbeitgeber Gespräche zum Zwecke der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses. Dabei wählte der Arbeitgeber den Weg. dass nach inhaltlicher Einigung zwischen ihm und dem betroffenen Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gleichzeitig eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen und parallel dazu eine Abwicklungsvereinbarung abgeschlossen wurde. Beispielhaft wird auf die Kündigung des Mitarbeiters J1. (Bl. 5.d.A.) sowie die dazugehörige Abwicklungsvereinbarung (Bl. 6.d.A.) Bezug genommen.
Eine formelle Anhörung des Betriebsrates vor Übergabe des Kündigungsschreibens im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fand nicht statt; die betroffenen Mitarbeiter hatten jedoch die Möglichkeit, ein Betriebsratsmitglied bei den Aufhebungsverhandlungen hinzuzuziehen. Von dieser Möglichkeit machten die Mitarbeiter mit Ausnahme des Falles des Mitarbeiters J1. Gebrauch.
Auf diese Weise wurde mit 10 Mitarbeitern des Arbeitgebers die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung unter gleichzeitiger Übergabe eines Kündigungsschreibens herbeigeführt. Denjenigen Mitarbeitern, mit denen Gespräche über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt wurden, die sich jedoch nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklärten, wurde eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausgesprochen.
Am 10.10.2001 hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Mitarbeiters U1. G4. an. Im Rahmen dieser Anhörung erfuhr der Betriebsrat, dass bereits seit längerem ein Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Dortmund – 3 Ca 4363/01 – anhängig war, und zwar wegen einer mit Schreiben vom 29.06.2001 zum 31.07.2001 ausgesprochenen Kündigung, zu der der Betriebsrat nicht angehört worden war.
Mit dem am 10.09.2001 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren begehrt der Betriebsrat die Unterlassung des Ausspruches von Kündigungen ohne seine vorherige Anhörung.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber verstoße gegen seine Verpflichtung, vor Ausspruch von Kündigungen den Betriebsrat nach § 102 BetrVG anzuhören. Auch in den Fällen der vorliegenden Art sei die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG erforderlich, mindestens hinsichtlich des Teiles „Kündigung”. Der Arbeitgeber verkenne den Unterschied zwischen einem Aufhebungsvertrag und einer Abwicklungsvereinbarung. Insoweit sei ein Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG gegeben.
Der Betriebsrat hat beantragt,
dem Arbeitgeber zu untersagen, ohne Anhörung des Betriebsrates Kündigungen auszusprechen,
dem Arbeitgeber im Falle der Nichtbefolgung der in diesem Beschlussverfahren ausgesprochenen Verpflichtungen die Verhängung eines Ordnungsgeldes anzudrohen.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, er habe seine Verpflichtungen aus dem Betriebsverfassungsgesetz keineswegs in eklatanter Form verletzt. Es gebe kein Recht des Betriebsrates, bei der einvernehmlichen Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses mitzuwirken oder gar mitzubestimmen. Auch ein Anhörungsrecht sei beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht gegeben, auch wenn dem betroffenen Arbeitnehmer formal ein Kündigungsschreiben übergeben werde. Die je...