Entscheidungsstichwort (Thema)

Übernahme eines Mitglieds der Jugend- und Auszubildendenvertretung in ein Arbeitsverhältnis. Auflösungsverlangen. Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung. Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes. Einsatz von Leiharbeitnehmern. Ableistung von Überstunden. Weiterbeschäftigung zu anderen Arbeitsbedingungen. Konkretes Übernahmeverlangen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Weiterbeschäftigung eines Jugend- und Auszubildendenvertreters nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses in einem Arbeitsverhältnis ist einem Arbeitgeber grundsätzlich dann unzumutbar, wenn zu diesem Zeitpunkt im Ausbildungsbetrieb kein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, auf dem der Auszubildende mit seiner durch die Ausbildung erworbenen Qualifikation beschäftigt werden kann.

2. Das Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes bestimmt sich nicht danach, ob überhaupt eine tatsächliche Beschäftigungsmöglichkeit besteht oder eine nach objektiven Kriterien messbare Arbeitsmenge vorliegt. Maßgeblich ist vielmehr, ob nach den arbeitsorganisatorischen Vorgaben des Arbeitgebers ein Arbeitsplatz frei, d.h. unbesetzt ist. Welche Arbeiten im Betrieb verrichtet werden sollen und wie viele Arbeitnehmer damit beschäftigt werden, bestimmt der Arbeitgeber hierbei durch seine arbeitstechnischen Vorgaben und seine Personalplanung. Entscheidet er sich dafür, keine Arbeiten durch zusätzliche Arbeitnehmer verrichten zu lassen, und hat er mithin keinen Einstellungsbedarf, so ist ein freier Arbeitsplatz nicht vorhanden. Der Arbeitgeber ist auch grundsätzlich nicht verpflichtet, durch eine Änderung seiner Arbeitsorganisation einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, um einen durch § 78a BetrVG geschützten Auszubildenden weiterbeschäftigen zu können

3. Für die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung i.S.v. § 78a Abs. 4 BetrVG ist auf den Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses, nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Arbeitsgericht abzustellen

 

Normenkette

BetrVG § 78a

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Beschluss vom 06.07.2007; Aktenzeichen 1 BV 6/07)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 17.02.2010; Aktenzeichen 7 ABR 89/08)

BAG (Aktenzeichen 7 ABN 22/08)

 

Tenor

Die Beschwerde der beteiligten Arbeitnehmerin S1 B3 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 06.07.2007 – 1 BV 6/07 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A

Die Beteiligten streiten über die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses eines Mitglieds der Jugend- und Auszubildendenvertretung.

Die antragstellende Arbeitgeberin betreibt in B1 einen Betrieb mit über 7.000 Mitarbeitern. Sie beschäftigt etwa 200 Auszubildende.

Seit dem 01.09.2003 befand sich die Beteiligte zu 2. aufgrund eines schriftlichen Ausbildungsvertrags vom 02.05.2003 (Bl. 11 d.A.) in der Berufsausbildung für den Beruf einer Mechatronikerin. Im Jahre 2004 wurde die Beteiligte zu 2. in die im Betrieb der Arbeitgeberin gebildete Jugend- und Auszubildendenvertretung, die Beteiligte zu 4., als Ersatzmitglied gewählt; im September 2006 rückte sie als Vollmitglied in die Jugend- und Auszubildendenvertretung nach. Bei der turnusmäßigen Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung im November 2006 wurde sie erneut als Ersatzmitglied in die Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählt.

Zur Herstellung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Werkes B1 führt die Arbeitgeberin seit Anfang des Jahres 2005 ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm durch. Dieses sieht vor, dass bis Ende des Jahres 2007 im Werk B1 ein Personalabbau von 2.570 Vollzeitarbeitsplätzen erfolgen muss, der vor allem mittels Aufhebungsverträgen sowie Übergang in Qualifizierungsgesellschaften erfolgen soll. Grundlage der umfangreichen Restrukturierungsmaßnahmen ist eine mit dem im Betrieb der Arbeitgeberin gewählten Betriebsrat, dem Beteiligten zu 3., abgeschlossene Betriebsvereinbarung „Zukunftsvertrag 2010” vom 17.03.2005 (Bl. 79 ff.d.A.). Unter Ziff. D. „Berufsausbildung/Übernahme von Auszubildenden” ist in dieser Betriebsvereinbarung vom 17.03.2005 unter anderem folgendes vereinbart:

„…

Es besteht Einvernehmen, dass die Geschäftsleitungen hinsichtlich der Auszubildenden, die in den Jahren 2006 und 2007 ihre Ausbildung erfolgreich beenden, mit Zustimmung des Gesamtbetriebsrates von der tarifvertraglich geregelten Übernahmeverpflichtung befreit werden, da die Voraussetzungen des § 3 Ziffer 2 des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung (Tarifgebiet Hessen/Rheinland-Pfalz) bzw. des § 8 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Beschäftigungsbrücke (Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen) erfüllt sind.

…”

Mit wenigen Ausnahmen wurden seither alle früheren Auszubildenden der Arbeitgeberin, die seit Beginn des Jahres 2006 ihre Abschlussprüfung bestanden haben, als Leiharbeitnehmer aufgrund eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags mit der Firma A6 Personaldienstleistungen beschäftigt und bei der Arbeitgeberin nach bestandener Abschlussprüfung eingesetzt. Mit Schreiben vom 24.10.2006 (Bl. 12 d.A.) hatte die Ar...

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