Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligung von Arbeitnehmern wegen einer Schwerbehinderung durch die Abfindungsregelung in einem Sozialtarifvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Eine Abfindungsregelung in einem Sozialtarifvertrag, wonach sich für einen schwerbehinderten Arbeitnehmer ein niedrigerer Abfindungsanspruch als für einen nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer errechnet, weil der schwerbehinderte Arbeitnehmer bereits vor Vollendung des 63. Lebensjahres die Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen kann, stellt eine nicht gerechtfertigte mittelbare Benachteiligung wegen einer Schwerbehinderung dar.
Normenkette
AGG §§ 1, 3, 7, 7 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Entscheidung vom 22.07.2015; Aktenzeichen 3 Ca 611/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 22.07.2015 - 3 Ca 611/15 - wird - einschließlich des Antrags vom 25.05.2016 - auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Zahlungsverurteilung ohne den Zusatz "netto" erfolgt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht eine höhere Abfindung mit der Begründung, die Regelung zur Berechnung der Abfindung im Sozialtarifvertrag bzw. Sozialplan aus dem Jahr 2014 benachteilige ihn ungerechtfertigt wegen seiner Schwerbehinderung.
Der 1959 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 50. Vom 28.02.1990 bis zum 31.12.2014 war er bei der Beklagten beschäftigt. Sein letztes Bruttomonatsentgelt betrug 3.543,93 €. Der Kläger ist tarifgebunden.
Die Beklagte beschloss im Jahr 2013, den Produktionsstandort in C zu schließen. Das Werk II sollte zum 31.10.2013 und das Werk I zum 31.12.2014 geschlossen werden. Nach Verhandlungen mit Betriebsrat und IG Metall wurde am 17.11.2013 ein Eckpunktepapier abgeschlossen, wobei eine "absolute Obergrenze" von EUR 552 Mio für das Gesamtvolumen einer Schließung des Werks C vereinbart wurde (Bl. 82, 83 GA). Im Zuge der vollständigen Stilllegung des Betriebs in C schloss die Beklagte mit der IG-Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, einen Sozialtarifvertrag (STV), der am 12.06.2014 in Kraft trat (Sozialtarifvertrag zwischen der IG Metall - Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der B P AG über die Schließung der Fahrzeugproduktion am Standort C vom 12.06.2014, Bl. 84 ff GA). Dort heißt es auszugsweise:
"(...)
C. Sozialplan
1. Mobilitätsprämie bei Wechsel an einen anderen Standort
(...)
2. Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1959
2.1 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954
Arbeitnehmer der Jahrgänge 1949 bis 1954 erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum 31.12.2014. Das Angebot beinhaltet die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung und kann je nach persönlichen Gegebenheiten auch den Eintritt in die Transfergesellschaft 1 vorsehen. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die U O Transfer beträgt maximal 12 Monate. Die Entgeltregelungen in der U O Transfer entsprechen denen der Altersgruppe Jahrgänge 1955 bis 1959.
2.2 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1955 bis 1959
Arbeitnehmer der Jahrgänge 1955 bis 1959 erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung ebenfalls ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen bis zum 31.12.2014. Dies beinhaltet ebenfalls die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung sowie den Wechsel in die Transfergesellschaft 1. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die U O Transfer beträgt maximal 12 Monate.
2.3 Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961 mit anerkanntem GdB von mind. 50 %
Arbeitnehmer der Jahrgänge 1960 und 1961, die aufgrund eines anerkannten GdB von mind. 50 % und bei Erfüllung aller sonstigen Bedingungen die vorzeitige Altersrente für Menschen mit Behinderung in Anspruch nehmen können, erhalten zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung alternativ zum Angebot eines Ausscheidens nach Abschnitt C. Ziffer 3 ein individuelles Angebot zum Ausscheiden aus dem Unternehmen zum 31.12.2014. Dies beinhaltet ebenfalls die Zahlung einer gemäß Abschnitt C. Ziffer 2.6 individuell berechneten Abfindung sowie den Wechsel in die Transfergesellschaft 1. Die Laufzeit der befristeten Übernahme in die U O Transfer beträgt maximal ein Jahr.
Diese Mitarbeiter können frei zwischen einem Angebot nach C.2.3 oder C.3 wählen.
2.3a. Zusatzbetrag
Bei der Berechnung der Abfindung erhalten Mitarbeiter in den Fällen 2.1 bis 2.3 für jedes Jahr der Betriebszugehörigkeit, das die 24 übersteigt, zusätzlich einen Pauschalbetrag von EUR 500 brutto.
2.4 Härtefond
(...)
2.5 Leistungen in der Transfergesellschaft gemäß 2.1, 2.2 und 2.3
(...)
Für die Berechnung der gesetzlichen Abzüge zur Feststellung des Nettobetrags wird die Steuerklasse in Ansatz gebracht, die im letzten Kalenderjahr vor Austritt überwiegend maßgeblich war. Änderungen von Steuermerkmalen aufgrund geänderter Familienverhältnisse und anderweitige Änderu...