Entscheidungsstichwort (Thema)

Postulationsfähigkeit. Rechtsanwaltsgesellschaft. Vertretung. Offenheitsgrundsatz. Prozessvertretung

 

Leitsatz (amtlich)

Legt eine Aktiengesellschaft, die ausweislich ihres Briefkopfs angestellte Rechtsanwalte beschäftigt und „Rechtsvertretung” betreibt, als klagende Partei Berufung ein und bezeichnet sie sich im Rubrum der Berufungsschrift ohne weitere Zusätze selbst als Prozessbevollmächtigte, ist dies für einen objektiven Erklärungsempfänger nur dahingehend zu verstehen, dass eine Rechtsanwaltsgesellschaft von der Möglichkeit Gebrauch macht, sich nach § 59 l S. 2 BRAO, 11 Abs. 4 S. 4 ArbGG im Berufungsverfahren selbst zu vertreten. Der Wille des Rechtsanwalts, der die Berufungsschrift der nach § 59 l S. 3 BRAO für die Rechtsanwaltsgesellschaft unterzeichnet hat, eine eigene Prozesserklärung abzugeben, ist damit nicht hinreichend offen nach außen getreten, so dass er selbst nicht rechtswirksam eine Prozesserklärung für die Rechtsanwaltsgesellschaft abgegeben hat. Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen.

 

Normenkette

BRAO § 59c ff; BGB § 164 ff; ZPO § 78 ff; ArbGG § 11 Abs. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Urteil vom 08.03.2011; Aktenzeichen 2 Ca 2312/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 17.09.2013; Aktenzeichen 9 AZR 75/12)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 08.03.2011 – 2 Ca 2312/10 – wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Rückzahlung von Fortbildungskosten. Der Beklage fordert widerklagend die Abgeltung offener Urlaubsansprüche. Die Parteien streiten zweitinstanzlich darüber, ob die Berufung von einem postulationsfähigen Anwalt eingelegt worden und damit zulässig ist.

Die Klägerin betreibt unter der Firmierung „A-AG” eine Gesellschaft, deren Unternehmensgegenstand u.a. „die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten einschließlich der Rechtsberatung durch Übernahme von Rechtsanwaltsaufträgen” ist.

Der Beklagte war bei der Klägerin als Rechtsanwalt auf der Basis einer Bruttomonatsvergütung von 2.000 EUR vom 01.05.2008 bis zum 31.05.2010 tätig. Das Arbeitsverhältnis endete infolge einer ordentlichen Kündigung des Beklagten.

Vom 13.08.2009 bis zum 07.11.2009 nahm der Beklagte an einer Fortbildung zum Fachanwalt für Informationstechnologie in H2 teil. Der auf sechs Abschnitte verteilte Lehrgang fand an jeweils drei Tagen donnerstags bis samstags statt. Die Klägerin stellte den Beklagten zum Zwecke der Teilnahme an 12 Werktagen unter Fortzahlung der Vergütung frei. Ferner übernahm sie die Lehrgangskosten in Höhe von 2.205,00 EUR. Am 28.12.2009 wurde dem Beklagten bescheinigt, die Fachanwaltsfortbildung erfolgreich absolviert zu haben. Anfang Januar 2010 beantragte der Beklagte, ihm den Fachanwaltstitel zu erteilen. Dies erfolgte sodann im September 2010.

Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses standen dem Beklagten rechnerisch für das Kalenderjahr 2010 13 Urlaubstage zu.

Die Klägerin hat die Auffassung geäußert, ihr stünde angesichts einer Reglung in § 5 ihrer Vergütungsordnung, die über eine vertragliche Klausel auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fände, ein Anspruch Rückzahlung der von ihr verauslagten Kosten für den Fachanwaltslehrgang zu. Urlaubsabgeltungsansprüche könne der Beklagte nicht begehren. Er habe bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses in keiner Weise deutlich gemacht, dass er im Kalenderjahr 2010 habe Urlaub in Anspruch nehmen wollen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, 2.205,00 EUR brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2010 an sie zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

sowie widerklagend,

die Klägerin zu verurteilen, an ihn 1.186,90 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Widerklage zu zahlen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung geäußert, die Rückzahlungsklausel, die einer an den §§ 305 ff BGB orientierten Kontrolle zu unterziehen sei, sei unwirksam, weil die von der Beklagten beabsichtigte Bindungsdauer von 12 Monaten, die erst nach Verleihung des Fachanwaltstitels habe zu laufen beginnen sollen, angesichts der lediglich 12 Arbeitstage umfassenden Fortbildung zu lang sei. Dies sei unangemessen benachteiligend im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB. Außerdem stünde ihm ein Anspruch auf Abgeltung von 13 Urlaubstagen zu, den er widerklagend geltend mache.

Mit Urteil vom 08.03.2011 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, im Wesentlichen mit der Begründung, die Rückzahlungsklausel sei unangemessen benachteiligend im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB und damit unwirksam, während die im Wege der Widerklage eingeforderte Urlaubsabgeltung dem Beklagten angesichts der offenen 13 Urlaubstage nach § 7 Abs. 4 BUrlaubG zustünde.

Gegen das der Klägerin am 11.03.2011 zugestellte Urteil richtet sich deren am 31.03.2011 eingegangene und innerhalb der verlän...

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