Entscheidungsstichwort (Thema)

Verantwortlichkeit des Syndikusanwalts bei Übermittlung von Schriftsätzen. Rolle eines Verbandes bei Verantwortlichkeit nach § 46c Abs. 3 S. 1 ArbGG. Einfache Signatur bei Übermittlung eines Schriftsatzes per beA ausreichend. Außerordentliche Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung. Verhältnismäßigkeit einer fristlosen Kündigung bei 24-jähriger Betriebszugehörigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälte sind die einen Schriftsatz verantwortende Person im Sinne des § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG. Dies wird nicht dadurch infrage gestellt, dass Prozessvertreter der Partei der Verband ist, bei dem Erstere angestellt sind.

2. Für die formgerechte Einreichung eines fristwahrenden Schriftsatzes als elektronisches Dokument reicht die Übersendung aus dem beA der einfach signierenden Syndizi.

 

Normenkette

ArbGG § 11 Abs. 2 S. 3, § 46c; BetrVG § 102 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; ZPO § 97 Abs. 1, § 130a Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 12.10.2021; Aktenzeichen 2 Ca 105/21)

ArbG Paderborn (Entscheidung vom 04.10.2021; Aktenzeichen 2 Ca 105/21)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 4. Oktober 2021 (2 Ca 105/21) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise fristgerecht ausgesprochener Kündigungen.

Der am 3. September "0000" geborene und verheiratete Kläger ist seit dem 10. Februar 1997 bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin als Kraftfahrer in der Müllbeseitigung zu einem Bruttomonatsgehalt von insgesamt 2.977,41 € zuzüglich weiterer jährlich ausgezahlter Vergütungsbestandteile (Jahressonderzahlung i.H.v. 921,39 € sowie Besitzstandszulage i.H.v. 779,76 €) beschäftigt.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Entsorgungsunternehmen innerhalb der Abfallwirtschaft in den Bereichen Entsorgung, Recycling und Verwertung. Sie ist Teil der A-Gruppe und beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. An ihrem Standort in B betreibt sie einen Entsorgungs- und Wertstoffhof. Für den Transport der Abfälle verwendet sie rund 48 Fahrzeuge.

Seit Dezember 2002 fuhr der Kläger seine Touren im Kreis C. Der vom Kläger genutzte LKW befand sich auf dem Parkplatz der Firma E GmbH & Co.KG in der D-Str. 1, "00000" C. Er führte ein Diensttablet bei sich, auf welches ihm Telematik- bzw. Textnachrichten gesendet wurden sowie Tourenaufträge und sonstige Weisungen. Des Weiteren verfügte er über ein Diensthandy.

Im Dezember 2020 plante die Beklagte, das für die Touren des Klägers eingesetzte Fahrzeug auszutauschen, da das vom Kläger gefahrene Fahrzeug über eine Schütte verfügte, die sowohl für Kamm- als auch DU-Behälteraufnahmen geeignet war, für die Touren des Klägers aber lediglich eine Kamm-Aufnahme erforderlich war. Erstmals am 22. Dezember 2020 wurde der Fahrzeugtausch gegenüber dem Kläger angekündigt, wobei Einzelheiten hierzu zwischen den Parteien streitig sind. Insbesondere ist zwischen den Parteien streitig, wann der Tausch, für den der Kläger nach F fahren sollte, vollzogen werden sollte und ob er ihn während oder nach seiner regulären Arbeitszeit vornehmen sollte.

Am 28. Dezember 2020 und 6. Januar 2021 fand entgegen der Anweisung der Beklagten kein Fahrzeugtausch statt, wobei auch hierzu weitere Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.

Am 7. Januar 2021 fuhren die Mitarbeiter G. und H. nach F, holten das für den Kläger bestimmte Austauschfahrzeug ab und brachten dieses zum Parkplatz in der D.Str. 1 in C. Dort trafen sie gegen 15:45 Uhr den Kläger an, der die Herausgabe der Fahrzeugschlüssel zunächst verweigerte und wegfuhr. Gegen 16:20 Uhr kam der Kläger wieder und händigte die Fahrzeugschlüssel im Beisein der zwischenzeitlich herbeigerufenen Polizei aus. Gegen 18:00 Uhr rief der Kläger von seinem privaten Telefon aus den Niederlassungsleiter I., der dort zwischenzeitlich angerufen hatte, an und legte sofort wieder auf.

Mit Schreiben vom 8. Januar 2021 (Bl. 66 f. d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlich fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung des Klägers an. In diesem Schreiben nahm sie auf eine Mail des Niederlassungsleiters an die Personalabteilung Bezug, die an den Betriebsratsvorsitzenden "cc" ebenfalls übersendet worden war (Bl. 70 f. d. A.). Der Betriebsrat gab unter dem 12. Januar 2021 ausdrücklich keine Stellungnahme ab und erklärte das Anhörungsverfahren für sich abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 13. Januar 2021 (Bl. 6 d. A.), welches dem Kläger am 21. Januar 2021 zuging, sowie mit Schreiben vom 18. Januar 2021 (Bl. 5 d. A.), welches dem Kläger bereits am 19. Januar 2021 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers jeweils außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Hiergegen richtet sich die beim Arbeitsgericht am 29. Januar 2021 eingegangene Kündigungsschutzklage des Kl...

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