Die Revision wird nicht zugelassen

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit einer Sozialauswahl nach einer mit dem Betriebsrat im Zusammenhang mit einem Interessenausgleich vereinbarten Auswahlrichtlinie bei Kündigungen in größeren Etappen und Zugehörigkeit zu anderen Altersgruppen

 

Leitsatz (amtlich)

§ 1 Abs. 2 S 2 Nr. 1 a) und Abs. 3 S 1 und 2 KSchG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Betriebspartner können einen Interessenausgleich mit einer gem. § 95 BetrVG durch eine Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Auswahlrichtlinie verbinden.

2. Eine Sozialauswahl ist zwischen allen vergleichbaren Arbeitnehmern vorzunehmen, deren Kündigung nicht zum gleichen Kündigungstermin beabsichtigt ist, sofern dies nicht auf unterschiedlichen Kündigungsfristen beruht.

 

Normenkette

BetrVG § 95

 

Verfahrensgang

ArbG Hamm (Urteil vom 04.02.2004; Aktenzeichen 3 Ca 1693/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 04.02.2004 – 3 Ca 1693/03 – abgeändert und wie folgt neu gefasst.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die beiden Kündigungen vom 27.06.2003 aufgelöst worden ist.

Die Kosten der ersten Instanz hat die Beklagte zu 3/5 und die Klägerin zu 2/5 zu tragen.

Die Kosten der zweiten Instanz hat die Beklagte zu 4/5 und die Klägerin zu 1/5 zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über von der Beklagten mit zwei gleichen Schreiben vom 27.06.2003 erklärte und auf betriebliche Gründe gestützte Kündigungen zum 31.10.2003.

Die am 22.11.12xx geborene ledige Klägerin war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten seit dem 26.06.1989 als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt.

Nach einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.1993 aus betrieblichen Gründen gegen Zahlung einer Abfindung wurde die Klägerin zum 08.09.1994 wieder eingestellt.

Die Klägerin erhielt zuletzt eine monatliche Vergütung nach der Tariflohngruppe 5 des Lohnabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens in Höhe von 2116,09 EUR.

Im Zuge der Verlagerung eines großen Teils der Produktion ins Ausland (S11xxxxx) vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat am 19.11.2001 einen Interessenausgleich und am 17.04.2003 dessen Verlängerung u.a. wegen beabsichtigter Verlagerung weiterer Teile der Produktion ins Ausland bis zum 31.07.2004.

Gleichzeitig vereinbarten die Betriebspartner über die personelle Auswahl für betriebsbedingte Kündigungen im Zusammenhang mit dem Interessenausgleich auf der ersten Stufe die Bildung von Vergleichsgruppen wie z.B „Assembly (Montage)” und „FAT (Montage)” unterteilt nach Lohngruppen, auf der zweiten Stufe die für die Auswahl maßgeblichen sozialen Gesichtspunkte und deren Gewichtung aufgrund eines Punkteschemas (60 Punkte für ein Jahr Betriebszugehörigkeit, 12 Punkte für jedes Lebensjahr, 60 Punkte für jede unterhaltsberechtigte Person sofern aus der Lohnsteuerkarte ersichtlich und 6 Punkte für je 10 Grad Schwerbehinderung), auf der dritten Stufe die einer Sozialauswahl entgegenstehenden betrieblichen Bedürfnisse, so auch die Erhaltung einer gesunden und zukunftsorientierten Altersstruktur durch Beibehaltung des bisherigen Anteils der Arbeitnehmer in vier Altersgruppen (bis 35 Jahre, bis 45 Jahre, bis 55 Jahre und über 55 Jahre) einer jeden Vergleichsgruppe und auf der vierten Stufe die Berücksichtigung besonderer sozialer Härten.

Die Beklagte ordnete die Klägerin (vgl. die von der Beklagten überreichten Übersichten Lohnempfänger S3xxx, Stand 28.02.2003 [Bl. 62 ff] und Stand 31.05.2003 [Bl. 191 ff]) in die Vergleichsgruppe „Assembly (Montage)/Lohngruppen 3 bis 5” und dort in die Altersgruppe der bis zu 35 Jahre alten Mitarbeiter ohne Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit von 1989 bis 1993 mit 865 Sozialpunkten ein neben den Arbeitnehmerinnen M3xxx und H4xxxx mit weniger und drei weiteren Arbeitnehmerinenn mit mehr Sozialpunkten.

Mit Schreiben vom 18.06.2003 nebst Anlagen teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass sie beabsichtige mehreren Arbeitnehmern gemäß Interessenausgleich und Auswahlrichtlinien zu kündigen, u.a. zum 31.08.03 der Arbeitnehmerin M3xxx, zum 31.10.2003 der Arbeitnehmerin H4xxxx und der Klägerin sowie zum 30.03.2004 der Arbeitnehmerin S8xxxxx, die die Beklagte, wie aus der Übersicht „Lohnempfänger S3xxx” ersichtlich, ebenfalls der Vergleichsgruppe „Assembly (Montage)/Lohngruppen 3 bis 5” zugeordnet hat und die aufgrund ihrer Sozialdaten (geboren am 01.13.14xx, eingetreten am 20.09.1999, Lohnsteuerklasse IV) mit 720 Sozialpunkten die wenigsten Sozialpunkte der etwa 25 Arbeitnehmer ihrer Altersgruppe der 36 bis 45-jährigen aus dieser Vergleichsgruppe hat.

Mit zwei gleichlautenden Schreiben vom 27.06.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.10.2003 (bei Aufrechterhaltung einer bereits am 29.10.02 ausgesprochenen Kündigung, die die Beklagte am 05.09.2003 im Einvernehmen mit der Klägerin wieder zurückgenommen hat).

Mit der bei Gericht am 07.07.2003 eingegangenen Klage hat die Klägerin sich gegen die Kündigunge...

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