Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. Arbeitsfähigkeit. Schadensersatz. betriebliches Eingliederungsmanagement. stufenweise Wiedereingliederung
Leitsatz (amtlich)
1. Bietet der Arbeitnehmer nach längerer psychischer Erkrankung unter Vorlage einer vom behandelnden Facharzt ausgestellten „Arbeitsfähigkeitsbescheinigung” erfolglos seine Arbeitskraft an und verlangt er aus diesem Grunde Vergütungszahlung wegen Annahmeverzuges, so hat der Arbeitgeber die fehlende Arbeitsfähigkeit zu beweisen (h. M.).
2. Verneint der gerichtlich bestellte Sachverständige aufgrund eigener Untersuchung und Beurteilung, jedoch ohne Beiziehung der fachärztlichen Behandlungsunterlagen die vom Arbeitgeber behauptete Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit zu dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, so ist der auf Ergänzung des Gutachtens gerichtete Beweisantrag des Arbeitgebers, der Gutachter möge die fachärztlichen Behandlungsunterlagen beiziehen, zum Nachweis der fehlenden Arbeitsfähigkeit nur geeignet, wenn zugleich die Möglichkeit dargelegt wird, dass deren Auswertung einen solchen Widerspruch zwischen ärztlicher Dokumentation einerseits und diagnostizierter Besserung der Symptomatik nebst Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit andererseits aufzeigt, dass hieraus überzeugungskräftig das Gegenteil – die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit – herzuleiten sei.
3. Zu den gebotenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX gehört auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung. Die frühere Auffassung, dem Arbeitgeber stehe die Entscheidung hierüber frei, ist nach Einführung des § 84 SGB IX überholt. Im Weigerungsfall kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 280 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX in Betracht.
Normenkette
BGB §§ 615, 280, 823 Abs. 2; SGB IX § 84 Abs. 2; ZPO § 286
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 28.09.2010; Aktenzeichen 5 Ca 1035/10) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 28.09.2010 – 5 Ca 1035/10 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im zweiten Rechtszuge über die Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt von Annahmeverzug und/oder Schadensersatz für den Zeitraum vom 01. bis 26.03.2009 und vom 09.04. bis 30.04.2009, während dessen der Kläger nicht beschäftigt worden ist. Außergerichtlich hat der Kläger Ansprüche auch für nachfolgende Monate geltend gemacht.
Der Kläger ist seit dem 01.07.2003 aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 10 f. d. A.) beim beklagten DRK-Kreisverband gegen ein monatliches Bruttoentgelt von durchschnittlich 1.812,37 EUR beschäftigt und war zuletzt als Disponent in der Sicherheitszentrale eingesetzt. Ab dem 30.04.2008 und jedenfalls bis zum 03.11.2008 war der Kläger aufgrund einer depressiven Erkrankung arbeitsunfähig erkrankt und nicht für den Beklagten tätig. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 20.10.2008 (Bl. 15 d. A.) eine ärztlicherseits vorgeschlagenen stufenweise Wiedereingliederung unter Hinweis auf Sicherheitsbedenken abgelehnt hatte, bot der Kläger unter Vorlage einer ärztlichen Arbeitsfähigkeitsbescheinigung vom 04.11.2008 (Bl. 21 d. A) erfolglos seine Arbeitskraft an und legte weiter mit Schreiben vom 20.11.2008 eine Bestätigung der Techniker-Krankenkasse (Bl. 24 d. A.) vor, welche aufgrund einer Vorstellung des Klägers beim MDK die Fähigkeit zur Wiederaufnahme der Arbeit bestätigte. Auf Veranlassung des Beklagten stellte sich der Kläger sodann am 09.03.2009 beim „Werksarztzentrum D” vor, welches in seiner Stellungnahme vom 19.03.2009 (Bl. 25 d. A.) gegen einen Einsatz des Klägers Bedenken erhob und zunächst eine zweiwöchige Wiedereingliederung unter Aufsicht empfahl, was der Beklagte mit Schreiben vom 26.03.2009 (Bl. 26 d. A.) erneut wegen bestehender Sicherheitsbedenken ablehnte. Hierauf erlitt der Kläger einen Rückfall und war vom 27.03 bis 08.04.2009 erneut arbeitsunfähig. Nachfolgend bestätigte der MDK mit Schreiben vom 08.04.2009 (Bl. 28 ff.) die Einsatzfähigkeit des Klägers für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Disponent. Weiter heißt es insoweit, eine Personenbeförderung solle wegen der Medikation mit Citalopram aus Vorsichtsgründen nicht erfolgen. Am 11.04.2009 bot der Kläger erneut erfolglos seine Arbeitskraft an.
Nachdem die Beklagte die Arbeitsvergütung für die Monate November und Dezember 2008 gezahlt hatte, stellte sie in der Folge die Zahlung ein und forderte vom Kläger die geleistete Vergütung zurück.
Der Kläger hat vorgetragen, seine vorangehende Arbeitsunfähigkeit sei bereits ab dem 03.11.2008 beendet gewesen, weswegen der Beklagte zu Unrecht Beschäftigung und Zahlung verweigere. Demgegenüber hat der Beklagte geltend gemacht, abweichend von der Beurteilung der behandelnden Ärztin und des medizinischen Dienstes der Krankenkasse sei der Kläger weiter für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Sicherheitszentrale arbeitsunfähig g...