Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflicher Mehrurlaub. Langzeitkranke. Verfall
Leitsatz (amtlich)
Die urlaubsrechtlichen Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie stellen kein vom Gesetzesrecht losgelöstes eigenständiges tarifliches Urlaubsregime, das dazu führt, dass der tarifliche Mehrurlaub eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers erlischt und nicht abzugelten ist, dar.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie §§ 12-14
Verfahrensgang
ArbG Bochum (Urteil vom 11.06.2010; Aktenzeichen 1 Ca 194/10) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 11.06.2010 – 1 Ca 194/10 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung.
Der am 15.04.1950 geborene Kläger war seit dem 04.08.1975 bei der Beklagten als Energieanlagenelektroniker beschäftigt. Seit 1996 ist die Schwerbehinderung des Klägers festgestellt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 17,26 EUR brutto bei einer Arbeitszeit von 168 Stunden im Monat. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie Anwendung.
In der Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2010 befand sich der Kläger in Altersteilzeit mit einer Arbeitsphase vom 01.05.2005 bis zum 31.10.2007 und anschließender Freistellungsphase. Seit Mitte August 2007 war der Kläger über das Ende der Arbeitsphase hinaus arbeitsunfähig krank. Im Jahre 2007 hatte der Kläger 21 Tage Urlaub genommen. Bei einem Jahresurlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen und fünf Arbeitstagen Zusatzurlaub aufgrund seiner Schwerbehinderung betrug der anteilige Urlaub des Klägers für das Jahr 2007 30 Arbeitstage. Für neun Urlaubstage errechnet sich ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 1.087,38 EUR. Urlaub in Höhe von neun Arbeitstagen waren in der Entgeltabrechnung für den letzten Beschäftigungsmonat des Klägers neben sogenannten AZV-Tagen ausgewiesen. Bei einer persönlichen Vorsprache im Lohnbüro nach seinem letzten Beschäftigungsmonat wies der Kläger darauf hin, dass ihm diese Ansprüche noch zuständen. Er erhielt hierauf von dem zuständigen Mitarbeiter, nachdem dieser sich erkundigt hatte, die Auskunft, dass die AZV-Tage beglichen würden, die Urlaubsansprüche aber verwirkt seien. Mit seiner Entgeltabrechnung für den Monat November 2007 wurden dem Kläger die AZV-Tage ausgezahlt, seine Urlaubstage wurden in dieser Abrechnung auf Null gesetzt. Der Kläger, dem die erteilte Auskunft durch seine Gewerkschaft bestätigt wurde, akzeptierte dies zunächst. Erst mit Schreiben vom 08.08.2009 hat der Kläger die Abgeltung der neun Urlaubstage gefordert unter Hinweis auf die geänderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009 in der Sache S1-H1. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29.09.2009 (Bl. 12 d.A.) ab. Mit seiner am 09.12.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger diesen Anspruch weiter.
Im Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen- und Stahlindustrie vom 15.03.1989 in der Fassung vom 05.03.1997 (MTV-Stahl) finden sich die folgenden Urlaubsregelungen (Bl. 14 bis 18 d.A.):
„…
§ 12
Grundsätze der Urlaubsgewährung
1. Jeder Arbeitnehmer hat nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
2. Für jugendliche Arbeitnehmer gilt die Urlaubsregelung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Jedoch gilt § 14 Ziff. 1 dieses Tarifvertrages.
3. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
4. Der Urlaub soll der Erholung dienen. Der Arbeitnehmer darf während der Urlaubszeit keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit ausüben.
Unter Beachtung des Grundsatzes von Abs. 1 Satz 1 soll bei Urlaubsteilung – bei einem Urlaubsanspruch von mehr als 15 Arbeitstagen – einer der Urlaubsteile mindestens 15 aufeinanderfolgende Arbeitstage umfassen. Davon kann abgewichen werden, wenn das Interesse des Arbeitnehmers oder die Belange des Betriebs dies erforderlich machen.
5. Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur zulässig, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Urlaubsansprüche bestehen.
6. Eine Rückvergütung für bereits genommenen Urlaub kann nicht verlangt werden.
7. Die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze (z.B. Betriebsurlaub) ist durch Betriebsvereinbarung bis spätestens 4 Wochen vor Beginn des Urlaubsjahres zu vereinbaren.
Der Urlaubsplan ist so frühzeitig wie möglich durch Betriebsvereinbarung festzulegen.
Persönliche Wünsche der Arbeitnehmer hinsichtlich der zeitlichen Lage ihres Urlaubs sind nach Möglichkeit zu berücksichtigen.
Die Mitbestimmung des Betriebsrates erstreckt sich auch auf die Festlegung der zeitlichen Lage des Urlaubs gemäß Betriebsverfassungsgesetz.
Protok...