Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsfolgen einer tarifvertraglichen Schriftformabrede hinsichtlich der Gewährung eines übertariflichen Urlaubsgeldes aufgrund betrieblicher Übung
Leitsatz (redaktionell)
1. Sieht ein Tarifvertrag ein Schriftformgebot für Nebenabreden vor, so erfasst dieses auch eine Gesamtzusage für ein übertarifliches Urlaubsgeld. Im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages kann deshalb die wiederholte Gewährung einer Vergünstigung eine bindende Wirkung grundsätzlich nur dann entfalten, wenn der tariflichen Formvorschrift genügt wird.
2. Die Berufung auf die fehlende Schriftform stellt nur in Einzelfällen eine unzulässige Rechtsausübung dar. Das gilt auch dann, wenn aufgrund einer formnichtigen Vereinbarung über einen längeren Zeitraum hinweg Leistungen erbracht worden sind.
Normenkette
BGB §§ 611, 126
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 23.03.2022; Aktenzeichen 7 Ca 3027-21) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.03.2022 - 7 Ca 3027/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Urlaubsgeld ab dem Jahr 2021.
Der Kläger ist seit dem 01.12.1987 bei der Beklagten beschäftigt. Kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel fanden auf das Arbeitsverhältnis die Regelungen für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Anwendung.
Im Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Arbeiter vom 16.03.1977 in der letzten Fassung heißt es auszugsweise:
"§ 1 Anspruchsvoraussetzungen
(1) Der Arbeiter erhält in jedem Kalenderjahr ein Urlaubsgeld, wenn er
1. am 1. Juli im Arbeitsverhältnis steht
und
2. seit dem 1. Januar ununterbrochen als Arbeiter, Angestellter, Beamter, Richter, Soldat auf Zeit, Berufssoldat, Auszubildender, Praktikant, Schülerin/Schüler in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Krankenpflegehilfe oder Hebammenschülerin/Schüler in der Entbindungspflege im öffentlichen Dienst gestanden hat
und
3. mindestens für einen Teil des Monats Juli Anspruch auf Lohn, Urlaubslohn oder Krankenbezüge hat.
Ist die Voraussetzung des Unterabsatzes 1 Nr. 3 nur wegen Ablaufs der Bezugsfristen für die Krankenbezüge, wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld oder wegen der Inanspruchnahme der Elternzeit nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz nicht erfüllt, genügt es, wenn ein Anspruch auf Bezüge für mindestens drei volle Kalendermonate des ersten Kalenderhalbjahres bestanden hat.
...
§ 2 Höhe des Urlaubsgeldes
(1) Das Urlaubsgeld beträgt für den am 1. Juli vollbeschäftigten Arbeiter 332,34 Euro. ...
§ 3Anrechnung von Leistungen
Wird dem Arbeiter aufgrund örtlicher oder betrieblicher Regelung, aufgrund betrieblicher Übung, nach dem Arbeitsvertrag oder aus einem sonstigen Grunde ein Urlaubsgeld oder eine ihrer Art nach entsprechende Leistung vom Arbeitgeber oder aus Mitteln des Arbeitgebers gewährt, ist der dem Arbeiter zustehende Betrag auf das Urlaubsgeld nach diesem Tarifvertrag anzurechnen. ..."
Bis einschließlich des Jahres 1992 zahlte die Beklagte Urlaubsgeld der Höhe nach entsprechend der vorstehenden Regelung. Aufgrund der positiven geschäftlichen Entwicklung teilte der Geschäftsführer den Arbeitnehmern/innen mit Schreiben vom 30.09.1992 Folgendes mit:
"An alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der A B GmbH
Gewährung eines Urlaubsentgelts an die Beschäftigten der A B GmbH
Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter,
seit dem 1. Januar diesen Jahres ist die A B GmbH Tochterunternehmen der B C AG. Ich hatte bereits in anderer Sache Gelegenheit, Sie über die besonderen Sozialleistungen im Gesamtkonzern zu informieren.
Für die bei der A B GmbH in Vollzeit- oder Teilzeitarbeitsverhältnissen (nicht geringfügig Beschäftigte) tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter galt es, noch eine Regelung über die Gewährung eines Urlaubsgeldes zu treffen. Die neue Gesellschafterin, B C AG, war dabei bisher vom Grundsatz her nicht bereit, über den tariflichen Anspruch von 500 DM bzw. 650 DM Einmalzahlungen hinaus einer höheren Zuwendung zuzustimmen. Im Hinblick auf die erheblichen Verluste der A B GmbH ist eine solche Regelung äußerst schwierig durchzusetzen.
Im Hinblick auf die Verbesserung des Betriebsergebnisses für das Jahr 1991 und die sich abzeichnende weitere bescheidene Verbesserung für das laufende Geschäftsjahr konnte der Vorstand der B C AG bewegt werden, nochmals über eine Regelung für die Beschäftigten der A B GmbH nachzudenken. Ich habe dazu dem Vorstand einen konkreten Vorschlag unterbreitet, der für die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgende Regelung vorsieht:
1.
Auf jederzeitigen Widerruf wird die A B GmbH ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab 1993 ein Urlaubsgeld zahlen.
2.
Der tarifliche Anspruch auf Gewährung eines Urlaubsgeldes wird auf die Leistung der A B GmbH angerechnet.
3.
Das Urlaubsgeld wird nur Voll- oder teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewährt, die mindestens zwölf Monate vor dem Monat der Gewährung des Urlaubsgeldes ununterbrochen b...