Entscheidungsstichwort (Thema)
Vernünftige Maßstäbe der Rechtsordnung für Auslegung prozessualer Willenserklärungen. Gesamtbetrachtung bei Geldentschädigung wegen Mobbing/Bossing. Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers. Krankheitsbedingte Kündigung als sozialadäquate Verhaltensweise des Arbeitgebers. Pflichtgemäße Umsetzung in Kommissionierung
Leitsatz (amtlich)
Dem klagenden Arbeitnehmer stehen Ansprüche auf Zahlung einer billigen Entschädigung in Geld unter dem Gesichtspunkt "Mobbing" nicht zu, sofern sich weder die der Beklagten vorgeworfenen Verhaltensweisen - jede für sich gesehen - als inadäquat darstellen noch eine Gesamtschau aller einzubeziehenden Verhaltensweisen den Schluss darauf zulassen, sie bewirkten aufgrund der ihnen zugrunde liegenden Systematik und Zielrichtung eine Beeinträchtigung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1; ZPO § 253; SGB V § 275; BGB § 133
Verfahrensgang
ArbG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 31.08.2020; Aktenzeichen 1 Ca 613/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 31.08.2020 - 1 Ca 613/20 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1977 geborene Kläger fordert von der Beklagten Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds.
Die Parteien waren arbeitsvertraglich seit 1997 verbunden. Der Kläger war für die Beklagte als gewerblicher Mitarbeiter im Zentrallager tätig und dort ursprünglich mit Aufgaben der Warenannahme befasst. Am 21.06.2019 kam zwischen der Beklagten und ihrem Gesamtbetriebsrat ein Interessenausgleich über die beabsichtigte Schließung des Zentrallagers zum 30.06.2021 sowie ein Sozialplan zustande.
Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete auf der Grundlage eines Aufhebungsvertrags vom 05.08.2019 mit Ablauf des 30.06.2020 gegen Zahlung eines Abfindungsbetrags entsprechend den Regelungen des Sozialplans vom 21.06.2019.
Am 30.08.2017 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus Krankheitsgründen. Den in der schriftlichen Betriebsratsanhörung vom 24.08.2017 vorgetragenen Gründen ist zu entnehmen, dass der Kläger in den Jahren 2014 an 26 Arbeitstagen, 2015 an 61 Arbeitstagen, 2016 an 106 Arbeitstagen und bis Ende August 2017 an 115 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt war. Der Kläger litt an Rückenbeschwerden.
Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs verständigten sich die Parteien darauf, dass die Kündigung vom 30.08.2017 gegenstandslos sei und das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werde. Die Beklagte setzte den Kläger fortan zumindest auch mit Aufgaben als Kommissionierer ein, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob und in welchem Umfang der Kläger daneben auch noch im Warenlager zum Einsatz kam.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.11.2017 ließ der Kläger auf eine zurückliegende Arbeitsunfähigkeit Bezug nehmen und ausführen, diese sei auf Rückenbeschwerden zurückzuführen. Er ließ die Beklagte auffordern, ihn in den Wareneingang umzusetzen, um Belastungen zu vermeiden, zumindest für die nächsten drei bis vier Monate. Nur auf diesem Wege könne sichergestellt werden, den körperlichen und gesundheitlichen Zustand soweit zu stabilisieren, dass er auch weiterhin in der Lage sei, seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu genügen.
Bis Ende des Jahres 2017 erhöhten sich die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers auf 196 Arbeitstage. 2018 war der Kläger an 145 Arbeitstagen und 2019 an 96 Arbeitstagen erkrankt. In jedem dieser Jahre nahm der Kläger seinen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen in Anspruch.
Am 22.03.2018 verletzte sich der Kläger und meldete dies als Arbeitsunfall. In einem Schreiben vom 17.04.2018 führte die Beklagte aus, nach interner Überprüfung könne sie den angezeigten Arbeitsunfall nicht als Ursache für die beklagten Bauchschmerzen nachvollziehen. Sie werde die Berufsgenossenschaft informieren und das Geschehen bis zur abschließenden Klärung nicht als Arbeitsunfall anerkennen.
In einem unter dem 06.04.2018 ausgestellten "betriebsmedizinischen Gutachten zur Vorlage beim Arbeitgeber" nahm der attestierende Betriebsarzt Dr. N. auf den vom Kläger geschilderten Arbeitsunfall Bezug und führte aus:
"Am 05.04.2018 um 19.00 Uhr bis 19.20 Uhr stellt sich Herr K. in meiner Praxis in T vor. Er gibt an, nach einem Arbeitsunfall beim Kommissionieren 3 Tage stationär im Krankenhaus gewesen und arbeitsunfähig zu sein. Er möchte ab 09.04.2018 wieder arbeiten.
Das Kommissionieren ist aktuell nicht länger als 3h pro Arbeitstag möglich und soll dann aber alle 2 Wochen um 1h bis zur vollen Einsatzbereitschaft gesteigert werden. Wenn dies nicht zum Erfolg führt, sehe ich nach der langen Krankheitsdauer keine Einsatzmöglichkeit für Herrn K. in der Kommissionierung mehr."
Ende Juli 2018 erkannte die Berufsgenossenschaft das Geschehen am 22.03.2018 nach einer erfolgten Betriebsbegehung als Arbeitsunfall an.
Nach Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 05.08.2019 legte der Kläger eine Arbeitsunfähigkei...