Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung der Vereinbarung über ein Abrufarbeitsverhältnis hinsichtlich der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
Fehlt in einem Abrufarbeitsverhältnis eine Vereinbarung über die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, gilt nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart (im Anschluss an BAG, Urteil vom 24.09.2014 - 5 AZR 1024/12; Abgrenzung zu BAG, Urteil vom 07.12.2005 - 5 AZR 535/04). Jedenfalls bei einem nicht gleichförmigen Abruf begründet allein das tatsächliche Abrufverhalten des Arbeitgebers weder eine konkludente vertragliche Vereinbarung noch ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich.
Normenkette
BGB § 615 S. 1; TzBfG § 12 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 18.01.2022; Aktenzeichen 2 Ca 98-21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 18.01.2022 (2 Ca 98/21) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzuges und die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Arbeitszeit.
Die Klägerin ist seit dem 03.07.2006 bei der Beklagten als "Abrufkraft Helferin Einlage" beschäftigt. Zuletzt erzielte sie einen Bruttostundenlohn von 15,59 €, ab August 2021 von 15,74 €. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 19.06.2006 enthält u.a. die nachfolgenden Regelungen:
" . . .
1. Frau A. wird zum 03.07.2006 als Mitarbeiterin auf Abruf eingestellt.
2. Die Tätigkeit umfasst die Bereiche Einlage/Verpackung/Post.
3. Die Erbringung der Arbeitsleistung erfolgt auf Abruf. Dabei wird die Lage der Arbeitszeit jeweils mindestens 4 Kalendertage im voraus mitgeteilt.
Die Arbeitsleistung ist auch ohne Einhaltung der Ansagefrist zu erbringen, soweit die Mitarbeiterin im Einzelfall hierauf verzichtet hat.
Im Übrigen wird wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages auf ABl. 5 Bezug genommen.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie Anwendung. Im Manteltarifvertrag vom 15.07.2005 ist bestimmt:
" . . .
§ 15 Ausschlussfristen
1. Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und den Lohntarifverträgen sind wie folgt geltend zu machen:
a) Ansprüche auf tarifliche Zuschläge und Antrittsgebühren innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen der Lohnabrechnung, bei sie hätten abgerechnet werden müssen.
b) Sonstige tarifliche Geldansprüche innerhalb von 8 Wochen nach dem Zeitpunkt, an dem sie hätten erfüllt werden müssen.
2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter Ziff. 1 festgesetzten Fristen ist ausgeschlossen.
3. Ist ein tariflicher Anspruch rechtzeitig geltend gemacht und lehnt der andere Teil seine Erfüllung ab, muss der Anspruch innerhalb von 12 Wochen seit der ausdrücklichen Ablehnung rechtshängig gemacht werden. Eine spätere Klageerhebung ist ausgeschlossen.
. . . "
Die Beklagte schloss mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat mehrere Betriebsvereinbarungen zur "Arbeit auf Abruf" für Mitarbeiter/-innen der Einlage ab. Die jüngste dieser Betriebsvereinbarungen, die vom 13.09.2018 datiert (ABl. 52) und vom 01.10.2018 bis zum 31.12.2020 galt, bestimmt in ihrem § 2:
"Für Neueinstellungen von Mitarbeiter/-innen für die Einlage der Weiterverarbeitung (Arbeit auf Abruf) erfolgt die Eingruppierung für sechs Monate in die Eingangsstufe. Danach erfolgt die Eingruppierung in den Stundenlohn der LG I nach dem Lohnabkommen für die Druckindustrie in aktueller Fassung. Die Mindest-Arbeitszeit für diese Mitarbeiterinnen beträgt nach gesetzlicher Regelung wöchentlich 10 Stunden."
Betriebsvereinbarungen vom 21.05.2013 (ABl. 54) und vom 21.08.2015 (ABl. 53) enthalten insoweit inhaltsgleiche Regelungen.
Im Zeitraum Januar 2017 bis Dezember 2019 rief die Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin nach Bedarf in schwankendem Umfang ab. Wie die geleistete Arbeitszeit konkret zu berechnen ist - ob insbesondere samstags gearbeitete Stunden einzubeziehen sind -, wird von den Parteien unterschiedlich beurteilt. Ausweislich der von der Beklagten abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zur Samstagsarbeit vom 25.04.2013, vom 21.08.2015 und vom 13.09.2018 (ABl. 59-61) erfolgte der Einsatz an Samstagen freiwillig und ohne Anrechnung auf die wöchentliche Regelarbeitszeit. Seit dem 01.01.2020 ist die Samstagsarbeit entfallen, weil einige Publikationen nunmehr donnerstags gedruckt werden.
Am 28.01.2020 hat die Beklagte der Klägerin zur Vorlage bei deren Krankenkasse eine Bescheinigung erteilt, in der angegeben wird, dass die tatsächliche, wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin 25,25 Stunden beträgt.
Die Beklagte stellt es ihren Mitarbeitern frei, Wünsche in Bezug auf die Einsatzplanung in ein sogenanntes Wunschbuch einzutragen.
Im Jahr 2020 ist der zeitliche Umfang des Abrufs der Klägerin zurückgegangen. Die Beklagte rechnete ihr gegenüber für August 2020 67,75 Stunden sowie Urlaub für 5 Tage ab (Abl. 120), für September 2020 118,25 Stunden (ABl. 119), für November 2020 72,25 Stunden sowie Urlaub für einen Tag (Abl. 117), für Juli 20...