Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug und Arbeitszeit. Nichtvereinbarung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit als Regelungslücke im Arbeitsvertrag. Ausfüllung der Regelungslücke durch dispositives Recht
Leitsatz (redaktionell)
1. In welchem zeitlichen Umfang der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, richtet sich nach der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Arbeitszeit. Denn diese bestimmt den zeitlichen Umfang, in welchem der Arbeitnehmer berechtigt ist, Arbeitsleistung zu erbringen und der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Arbeitsleistung anzunehmen.
2. Die Nichtvereinbarung einer bestimmten Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bedingt nicht die Unwirksamkeit der Abrede, sondern führt dazu, dass die bestehende Regelungslücke nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG durch eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden ausgefüllt wird.
3. Die von den Parteien gewählte Gestaltung des Arbeitsverhältnisses entspricht dem durchnormierten Geschäftstyp der Arbeit auf Abruf im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 1 TzBfG.
4. Diese Regelungslücke hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit kann unter Heranziehung des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG, wonach eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart gilt, sinnvoll geschlossen werden. Die genannte Norm regelt ausdrücklich den Fall, dass eine Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist.
Normenkette
TzBfG § 12 Abs. 1; BGB §§ 293, 615 S. 1; MTV Druckindustrie § 2 (Fassung: 2008-02-15), § 3 Abs. 6 Nr. 3 (Fassung: 2008-02-15), § 15 (Fassung: 2008-02-15)
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 19.01.2022; Aktenzeichen 6 Ca 110/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 19.01.2022 (6 Ca 110/21) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzuges und die für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Arbeitszeit.
Die Klägerin ist seit dem 07.04.2014 bei der Beklagten als "Mitarbeiterin auf Abruf in der Einlage" beschäftigt. Zuletzt erzielte sie einen Bruttostundenlohn von 14,93 €, ab August 2021 von 15,08 €. Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 04.04.2014 enthält u.a. die nachfolgende Regelung:
" . . .
2.
Arbeitszeit
Die Erbringung der Arbeitsleistung erfolgt auf Abruf. Dabei wird die Lage der Arbeitszeit mindestens 4 Kalendertage im Voraus mitgeteilt. Die Arbeitsleistung ist auch ohne Einhaltung der Ansagefrist zu erbringen, soweit die Mitarbeiterin im Einzelfall hierauf verzichtet hat."
Im Übrigen wird wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages auf ABl. 5-6 Bezug genommen.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer der Druckindustrie Anwendung. Im Manteltarifvertrag vom 15.07.2005 ist bestimmt:
" . . .
§ 15 Ausschlussfristen
1. Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und den Lohntarifverträgen sind wie folgt geltend zu machen:
a) Ansprüche auf tarifliche Zuschläge und Antrittsgebühren innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen der Lohnabrechnung, bei sie hätten abgerechnet werden müssen.
b) Sonstige tarifliche Geldansprüche innerhalb von 8 Wochen nach dem Zeitpunkt, an dem sie hätten erfüllt werden müssen.
2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter Ziff. 1 festgesetzten Fristen ist ausgeschlossen.
3. Ist ein tariflicher Anspruch rechtzeitig geltend gemacht und lehnt der andere Teil seine Erfüllung ab, muss der Anspruch innerhalb von 12 Wochen seit der ausdrücklichen Ablehnung rechtshängig gemacht werden. Eine spätere Klageerhebung ist ausgeschlossen.
. . . "
Die Beklagte schloss mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat mehrere Betriebsvereinbarungen zur "Arbeit auf Abruf" für Mitarbeiter/-innen der Einlage ab. Die jüngste dieser Betriebsvereinbarungen, die vom 13.09.2018 datiert (ABl. 41) und vom 01.10.2018 bis zum 31.12.2020 galt, bestimmt in ihrem § 2:
"Für Neueinstellungen von Mitarbeiter/-innen für die Einlage der Weiterverarbeitung (Arbeit auf Abruf) erfolgt die Eingruppierung für sechs Monate in die Eingangsstufe. Danach erfolgt die Eingruppierung in den Stundenlohn der LG I nach dem Lohnabkommen für die Druckindustrie in aktueller Fassung. Die Mindest-Arbeitszeit für diese Mitarbeiterinnen beträgt nach gesetzlicher Regelung wöchentlich 10 Stunden."
Betriebsvereinbarungen vom 21.05.2013 (ABl. 43) und vom 21.08.2015 (ABl. 42) enthalten insoweit inhaltsgleiche Regelungen.
Im Zeitraum Januar 2017 bis Dezember 2019 rief die Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin nach Bedarf in schwankendem Umfang ab. Wie die geleistete Arbeitszeit konkret zu berechnen ist - ob insbesondere samstags gearbeitete Stunden einzubeziehen sind -, wird von den Parteien unterschiedlich beurteilt. Ausweislich der von der Beklagten abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen zur Samstagsarbeit vom 25.04.2013, vom 21.08.2015 und vom 13.09.2018 (ABl. 48-50) erfolgte der Einsatz an Samstagen freiwillig und ohne Anrechnung auf die wöchentliche Regelarbeitszeit. Seit dem 01.01.2020 ist die Samstagsarbeit entfallen, weil einige Publikationen nunmehr donnerstags gedruck...