Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung. Vertrauensschutz. Anspruch einer durch Abwicklungsvertrag vorzeitig ausgeschiedenen Mitarbeiterin auf eine nicht reduzierte Sozialplanabfindung aus Gründen des Vertrauensschutzes

 

Leitsatz (amtlich)

Anspruch einer durch Abwicklungsvertrag vorzeitig ausgeschiedenen Mitarbeiterin auf eine nicht reduzierte Sozialplanabfindung aus Gründen des Vertrauensschutzes:

Räumen die Betriebsparteien den Arbeitnehmern in einem Interessenausgleich anlässlich einer bevorstehenden Betriebsstilllegung einen Anspruch auf ein vorzeitiges Ausscheiden durch Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag ein und bestimmen sie im unmittelbar nachfolgenden Satz, dass Ansprüche des Mitarbeiters aus dem noch abzuschließenden Sozialplan durch den Abschluss eines solchen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrages unberührt bleiben, so kann die durch Abwicklungsvertrag vorzeitig ausgeschiedene Arbeitnehmerin aus Gründen des Vertrauensschutzes den ungekürzten Abfindungsbetrag beanspruchen, wenn der erst nach ihrem Ausscheiden verabschiedete Sozialplan reduzierte Abfindungsbeträge für die Mitarbeiter vorsieht, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans einen Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag unter Abkürzung der Kündigungsfrist bereits abgeschlossen hatten (Differenzbetrag knapp 30.000,00 €).

 

Normenkette

BetrVG §§ 112, 77

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Entscheidung vom 21.08.2012; Aktenzeichen 2 Ca 44/12)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 21.08.2012- 2 Ca 44/12 - wird abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.470,06 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Anspruch der Klägerin auf eine weitere Sozialplanabfindung in Höhe von 28.470,06 € brutto, die sich bei einer ungekürzten Weitergabe der Abfindung nach dem bei der Beklagten bestehenden Sozialplan vom 17.08.2011 errechnet.

Die Klägerin war seit dem 01.06.2003 für die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin als Gebietsmanagerin Apotheke tätig. Unter dem 16.12.2010 teilte die Beklagte allen Mitarbeitern mit, sie werde den Betrieb zum 31.03.2011 stilllegen. Zum 17.12.2010 wurden die Außendienstmitarbeiter in den Innendienst versetzt. Unter dem 16.02.2011 schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat einen Interessenausgleich, der unter anderem folgende Vereinbarungen enthält:

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2.7 Mit Ausnahme derjenigen Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse infolge der in Ziffer 2.4 genannten Teilbetriebsübergänge auf die H1 AG übergehen sowie der Mitarbeiter in Altersteilzeit (nachstehend: "nicht betroffene Mitarbeiter"), werden die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter von S1 betriebsbedingt gekündigt (Beendigungskündigungen), soweit für sie nicht bereits Aufhebungsverträge gemäß nachstehender Ziffer 2.10. geschlossen wurden. Die Kündigungen dürfen frühestens am 15. Juni 2011 ausgesprochen werden. . . .

. . .

2.10 Mit Ausnahme der nicht betroffenen Mitarbeiter haben alle Mitarbeiter das Recht, ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Interessenausgleichs bei S1 den Abschluss eines Aufhebungsvertrages (vorAusspruch der betriebsbedingten Kündigung) bzw. eines Abwicklungsvertrages (nachAusspruch der betriebsbedingten Kündigung) bei der Personalabteilung zu beantragen. Der Antrag bedarf der Schriftform. Er muss von S1 innerhalb von 5 Arbeitstagen ab Zugang der dem im Antrag genannten Beendigungszeitpunkt, der frühestens 14 Kalendertage ab Eingang des Antrags datiert sein muss, schriftlich angenommen werden. Anträge, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnis bis zum 28.02.2011 vorsehen, müssen von S1 unverzüglich angenommen werden.

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Ansprüche des Mitarbeiters aus dem noch zwischen den Betriebsparteien abzuschließenden Sozialplan bleiben durch den Abschluss eines solchen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrags unberührt. Dies gilt jedoch nicht für Mitarbeiter, die ein anderweitiges Beschäftigungsangebot eines Unternehmens der N1-Gruppe (nachstehend: "Konzernunternehmen") annehmen, vorausgesetzt, das Konzernunternehmen erkennt ihre bisher bei S1 zurückgelegte Betriebszugehörigkeit vollumfänglich an. Scheiden solche Mitarbeiter bei einem Konzernunternehmen innerhalb einer bestimmten Frist wieder aus, so richten sich evtl. Ansprüche nach dem zwischen S1 und dem Betriebsrat noch abzuschließenden Sozialplan gemäß Ziffer 5 dieses Interessenausgleichs.

. . .

5. Zum Ausgleich und zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Mitarbeitern infolge der in Ziffer 2 beschriebenen Betriebsänderung entstehen. werden die Betriebsparteien einen Sozialplan gem. § 112 BetrVG abschließen.

. . . "

Wegen des weiteren Inhaltes des Interessenausgleichs vom 16.02.2011 wird auf Blatt 8 bis 13 GA Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15.06.2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristgerecht zum 30.09.2011. Mit Schreib...

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