Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. außerordentlich. Vortäuschen. Arbeitsunfähigkeit. genesungswidriges Verhalten. Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem Mitglied des Betriebsrats wegen Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen angeblich vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit ist unwirksam, wenn der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt hat und der Arbeitgeber deren Beweiswert nicht zu erschüttern vermocht hat.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 11.09.2012; Aktenzeichen 5 Ca 766/12) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 11.09.2012 - 5 Ca 766/12 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung; der Kläger begehrt seine Weiterbeschäftigung.
Der am 06.04.1978 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Er trat mit Wirkung ab 20.06.2005 als Schmiedehelfer zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.500,-- € in die Dienste der Beklagten, bei der ca. 120 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Die Tätigkeit des Klägers, der dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat angehört, bestand in der Vergangenheit überwiegend darin, einen Ofen mit Material zu bestücken, wobei es um Gewichte zwischen 5 und 140 kg ging. Zusammen mit einem zweiten Arbeitnehmer waren vom Kläger große, schwere Teile mit Zangen vom Boden aufzuheben, was mit ständigem Bücken verbunden war. Außerdem hatte der Kläger die Teile im Ofen mit einem Haken umzudrehen und wieder herauszuholen, was er bei Gewichten bis zu 20 kg alleine erledigte. Die im Ofen erhitzten Teile waren dann mit einer 2 bis 3 kg schweren Zange auf eine Vordruckpresse (Höhe von ca. 1,20 m) und die zu bearbeitenden Teile in die etwa 80 cm hohe Schmiedepresse zu verbringen. - Zeitweise war der Kläger auch an einer anderen Presse tätig, wo lediglich Gewichte bis maximal 3 kg zu bewältigen waren.
Für den Zeitraum ab 05.03.2012 bis zum 17.03.2012 legte der Kläger zwei jeweils für eine Woche vom Internisten Dr. K2 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, datierend vom 05. und 09.03.2012 (Bl. 34 d. A.).
Seinerzeit fanden namentlich auch im Keller eines im Eigentum des Klägers stehenden Hauses Umbau- und Renovierungsarbeiten statt. Davon erfuhr die Beklagte am 12.03.2012. Daraufhin fuhr ihr Justitiar F1 am Folgetag in der Mittagszeit am Haus des Klägers vorbei. Er sah dort einen zur Hälfte mit Bauschutt gefüllten Container, konnte aber nicht feststellen, dass dort gerade Renovierungsarbeiten vorgenommen wurden.
Am 15.03.2012 fuhren dann im Anschluss an einen auswärtigen Termin der Betriebsleiter der Beklagten, S1, und der Mitarbeiter W1 etwa gegen 18.30 Uhr zum Haus des Klägers. Das anschließende Geschehen gab der Zeuge S1 am Folgetag in einem vom Zeugen W1 mitunterzeichneten Protokoll wie folgt wieder:
"Wir haben einen uns unbekannten Mann beim Schaufeln von Bauschutt vom Bürgersteig in einen Container gesehen. Der Bauschutt wurde von Herrn Ö1 durch ein Kellerfenster auf den Bürgersteig geschaufelt. Herr Ö1 wurde aber von Herrn W1 nicht eindeutig erkannt.
Wir haben dann gedreht und an der Bürgersteigseite ca. 30 m vom Kellerfenster geparkt und die Arbeiten ca. 15 Min. beobachtet.
Danach sind wir nochmal mit dem Auto langsam an dem Kellerfenster vorbeigefahren (da hat Herr W1 Herrn Ö1 erkannt), haben danach an der Seitenstraße geparkt. Konnten aber von da aus die Arbeiten verfolgen.
Ich bin dann aus dem Auto ausgestiegen und bin zu Fuß auf der gegenüberliegenden Bürgersteigseite nochmals hin und zurück daran vorbeigegangen. Dabei habe ich Herrn Ö1 weiterhin kräftig schaufeln gesehen.
Ich habe mich danach kurz mit Herrn W1 abgesprochen wie ich weiter vorgehen soll.
In dieser Zeit trat Herr Ö1 in Arbeitskleidung und mit einem Besen in der Hand auf den Bürgersteig und begann den Bauschutt zusammen zu fegen.
Daraufhin bin ich sofort auf Herrn Ö1 zugegangen und es kam zu folgendem Wortlaut:
Guten Abend Herr Ö1, es ist interessant zu sehen, wie Sie Ihre Krankheit pflegen.
Ich helfe nur meinem Bruder.
Ja, aber Sie sind heute und morgen noch krankgeschrieben.
Ich komme aber am Montag wieder zur Arbeit.
Trotzdem sind Sie heute und morgen noch krankgeschrieben.
Herr Ö1, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Sie hören von uns.
Ich bin dann ins Auto gestiegen, habe Herrn W1 von dem Gespräch berichtet und wir sind dann nochmals langsam an beiden Herren vorbei nach Hause gefahren."
Unter dem 16.03.2012 fertigte die Beklagte ein an den Betriebsrat gerichtetes Schreiben mit der Absicht, dem Kläger eine fristlose Kündigung auszusprechen. Auszugsweise heißt es darin weiter wie folgt:
"Die Kündigung ist aus den in der Anlage aufgeführten Gründen erforderlich. Wir beziehen uns außerdem auf unsere mündlichen Erläuterungen vom 16.03...