Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückweisung einer Kündigung mangels Vorlage einer Vollmacht. Prokurist und Vertreter benötigen Vollmacht zum Kündigungsausspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist dem Kündigungsschreiben keine Originalvollmacht für den Prokuristen beigefügt und fehlt auch eine Originalvollmacht für den Personalsachbearbeiter, obwohl dieser durch den Zusatz "i.V." zu seinem Namen ein Vertretungsverhältnis zum Ausdruck gebracht hat, muss ein Arbeitnehmer als Empfänger des Kündigungsschreibens davon ausgehen, dass beide als Vertreter der Arbeitgeberin handeln; dass der Personalsachbearbeiter ausschließlich im Rahmen des betriebsintern geltenden Vieraugenprinzips die Kündigungserklärung gegengezeichnet hat und damit ihre Kenntnisnahme bestätigen wollte, kommt für den Erklärungsempfänger nicht zum Ausdruck.
2. § 174 BGB steht im Zusammenhang mit dem Verbot vollmachtlosen Handelns bei einseitigen Rechtsgeschäften; hat der Vertreter Vertretungsmacht, ist die Vertretung zwar wirksam, jedoch weiß der Empfänger ohne Nachweis dieser Vollmacht nicht, ob das ihm gegenüber vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft wirksam ist.
3. Hat ein Prokurist das Kündigungsschreiben unter ausdrücklicher Bezugnahme auf seine Prokura unterzeichnet ("ppa"), muss ein Arbeitnehmer davon ausgehen, dass der Prokurist in Ausübung der aus der Prokuraerteilung folgenden Vertretungsmacht handelt; ist die Vollmacht jedoch ausweislich der Publizität des Handelsregisters als Gesamtprokura eingeschränkt, wird durch die Art der Unterzeichnung gerade nicht deutlich, dass eine (Allein-) Vertretungsmacht resultierend aus der Position des Personalleiters in Anspruch genommen wird, die auch nur "regelmäßig" mit der Vertretungsmacht zum Ausspruch einer Kündigung verbunden ist.
Normenkette
BGB § 174
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 30.10.2012; Aktenzeichen 4 Ca 1237/12) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 30.10.2012 - 4 Ca 1237/12 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2012 aufgelöst wurde.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Materialbesteller weiterzubeschäftigen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung der Beklagten beendet ist.
Der am 21.11.1975 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.02.2004 bei der Beklagten als Materialbesteller im Fertigungslager/in der Endmontage gegen eine Bruttomonatsvergütung von 3.200,00 € tätig.
Die Beklagte beschäftigt ca. 720 Mitarbeiter.
Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 12.01.2004 (Bl. 43 bis 46 d.A.) zugrunde. Nach § 10 des Arbeitsvertrages sind die tariflichen Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer in der Metall-, Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens ergänzend anwendbar.
Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat mit 13 Mitgliedern. Betriebsratsvorsitzender ist P1 B3.
Am 29.03.2012 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat einen Interessenausgleich (Bl. 47 bis 52 d.A.). Als Anlagen 1) sind diesem beigefügt eine Hausmitteilung vom 27.02.2012 (Bl. 53, 54 d.A.), eine Stellungnahme der K1 AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 09.03.2012 (Bl. 55 bis 62 d.A.) sowie als Anlagen 2) eine Übersicht bzgl. der Anpassung der Kapazitäten an die Absatz- und Produktionsplanung 2012 (Bl. 63 bis 66 d.A.) sowie weitere Hausmitteilungen vom 27.02.2012 (Bl. 68, 69 d.A.) und vom 22.03.2012 (Bl. 67 d.A.). Ebenfalls als Anlage 2) wurde eine Übersicht bzgl. der Entwicklung der Altersstruktur (Bl. 74 d.A.) dem Interessenausgleich beigefügt. Die Unterlagen sind jeweils von dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Betriebsratsvorsitzenden paraphiert und auf der letzten Seite von dem Geschäftsführer, dem Betriebsratsvorsitzenden und einem weiteren Betriebsratsmitglied unterzeichnet.
Als Anlage 3) wurde eine Namensliste zum Interessenausgleich genommen, die ebenfalls Seite für Seite von den Betriebsparteien paraphiert und am Ende der Liste unterschrieben wurde (Bl. 75 bis 84 d.A.).
Mit der Personalnummer 12345 wird der Kläger in der Namensliste aufgeführt (Bl. 83 d.A.). Er wurde der Altersgruppe 2 zugeordnet und erhielt insgesamt 57 Punkte. Als tarifliche Kündigungsfrist ist eine Frist von 3 Monaten zum Monatsende (31.07.2012) ausgewiesen.
Ebenfalls am 29.03.2012 schlossen die Betriebsparteien einen Sozialplan (Bl. 85 bis 96 d.A.).
Mit Schreiben vom 02.04.2012 (Bl. 106, 107 d.A.) zeigte die Beklagte die Entlassung von insgesamt 156 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an. Zur Darstellung der betroffenen Berufsgruppen und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer fügte sie eine Anlage (Bl. 108, 109 d.A.) sowie eine Liste der zur Entlassung vorgesehenen...