Entscheidungsstichwort (Thema)
rechtswidrige außerordentliche Kündigung. Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit; Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Beweiswürdigung. nochmalige Vernehmung von Zeugen in der Berufungsinstanz. Beweis des Zugangs eines Kündigungsschreibens. Einwurfeinschreiben. Annahmeverzug. Zeugnisberichtigung. Darlegungs- und Beweislast für Berichtigung. Rückzahlung von Ausbildungskosten. ordnungsgemäße Berufungsbegründung bei mehreren Streitgegenständen
Leitsatz (redaktionell)
1. Bezieht sich eine Berufung auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, muss zu jedem Anspruch eine ausreichende Berufungsbegründung gegeben werden. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig.
2. Ein Arbeitnehmer, der das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit lediglich vortäuscht, verstößt regelmäßig gegen seine Arbeitspflicht und kann bei einem entsprechenden Nachweis je nach den Umständen des Einzelfalls auch wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung fristlos entlassen werden.
3. Nach § 398 ZPO ist das Berufungsgericht nur dann zu einer erneuten Vernehmung von Zeugen verpflichtet, wenn es die Glaubwürdigkeit der erstinstanzlich gehörten Zeugen anders als das Gericht erster Instanz beurteilt und dies die Tatsachenfeststellung beeinflusst.
4. Es ist anerkannt, dass der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet ist, wenn er dem Arbeitnehmer eine nur ausreichende oder noch schlechtere Bewertung im Zeugnis zukommen lassen will.
5. Ein Anspruch auf Rückzahlung von Ausbildungskosten besteht auch bei arbeitgeberseitiger Kündigung innerhalb der Probezeit nicht, es sei denn, es liegt ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers vor.
Normenkette
BGB §§ 130, 611, 615, 626; EntgFG § 3 Abs. 1; GewO § 109; ZPO §§ 286, 398, 520
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Urteil vom 16.03.2011; Aktenzeichen 1 Ca 4131/09) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16.03.2011 – 1 Ca 4131/09 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose Kündigung der Beklagten, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die Abgeltung von Urlaub, die Berichtigung eines Zeugnisses und im Wege der Widerklage über die Rückerstattung von Ausbildungskosten.
Die am 15.12.1984 geborene, ledige Klägerin war seit dem 01.04.2009 aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 01.04.2009 (Bl. 3 ff. d.A.) als Vertriebsassistentin zu einem monatlichen Bruttoverdienst von zuletzt 1.800,00 EUR bei der Beklagten tätig. In § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages war eine sechsmonatige Probezeit mit einer Kündigungsfrist von 14 Tagen vereinbart.
In der Zeit ab dem 08.06.2009 nahm die Klägerin über einen sogenannten Bildungsscheck an einem IHK-Kurs „Fachkraft Marketing und Vertrieb” teil. Das Land NRW bezuschusste die Klägerin für diesen Kurs mit 50 % des Gesamtlehrgangsentgelts in Höhe von 467,50 EUR. Die weiteren 50 % in Höhe von 467,50 EUR zahlte die Beklagte.
Für die Teilnahme an dieser Fortbildung von insgesamt über 150 Stunden hatte die Klägerin am 05.06.2009 folgende Bestätigung (Bl. 23 d. A.) unterschrieben:
„Zusage zur Teilnahme an Fortbildung
Hiermit bestätige ich die Teilnahme an oben genannter Fortbildung.
Ebenso bestätige ich, die unternehmensanteiligen Kosten der Fortbildung zu selbst zu tragen, sofern ich mehr als 15 % der Unterrichtseinheiten der Fortbildung ohne ersichtlichen Grund (beispielsweise beleget durch ein ärztliches Attest) fern bleibe.”
Am 28.07.2009 sandte die Klägerin ihrer Arbeitskollegin, der Zeugin E2, eine
E-Mail (Bl. 15 d. A.) mit folgendem Inhalt:
„Guten Morgen liebe B1
ich werde gleich erstmal zum Arzt. (Ich habe die Woche zwei Gespräche ;o)
Die Krankmeldung werde ich einreichen, ich werde Dich später auch noch anrufen. Nur damit Du Bescheid weisst, bzw. das an I1 weitergeleitet wird.
Fühl Dich gedrückt”
Im Anschluss an diese E-Mail kam es zu einem Telefonat zwischen der Klägerin und der Zeugin E2. Die Einzelheiten dieses Telefonats sind zwischen den Parteien streitig, insbesondere streiten die Parteien darüber, in welcher Form über die Erkrankung der Klägerin gesprochen wurde.
Am 28.07.2009 reichte die Klägerin der Beklagten eine von dem Zeugen Dr. H2 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 28.07.2009 bis zum 31.07.2009 bei der Beklagten ein (Bl. 16 d. A.), anschließend eine Folgebescheinigung für die Zeit vom 03.08.2009 bis zum 07.08.2009 (Bl. 17 d. A.).
Ob die Klägerin in der zeit vom 28.07.2009 bis zum 07.08.2009 tatsächlich arbeitsunfähig gewesen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 31.07.2009 (Bl. 18 d. A.) kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristlos „wegen Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit.” Das Kündigungsschreiben wurde von der Beklagten mit Einwurfeinschreiben am 31.07.2009 um 17.24 Uhr zur Post gegeben (Bl. 19 d. A.). Wann das Kündigungsschreiben ...