Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsstichwort (Thema)
außerordentliche und ordentliche Kündigung Arbeitsverweigerung und unentschuldigtes Fehlen. Rücknahme von Abmahnungen. Interessenabwägung. Betriebsratsanhörung. Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Gegendarstellung des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Es kann im Rahmen einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nicht auf eine beharrliche Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers geschlossen werden, wenn dieser einmal die Arbeitsleistung bewusst vorsätzlich einstellt und erhebliche Zeit später lediglich fahrlässig der Arbeit fernbleibt, weil er eine Schichteintragung vergessen hat.
2. Es liegt jedoch eine vergleichbare Pflichtverletzung vor, wenn der Arbeitnehmer zunächst bewusst vorsätzlich die Arbeitsleistung einstellt (vorzeitiges Verlassen der Arbeitsstätte) und ein anderes Mal fahrlässig der Arbeit fernbleibt (Schichteintrag vergessen). Ist dem Arbeitnehmer wegen der erstgenannten Pflichtverletzung eine Abmahnung erteilt worden, so bedeutet die zweitgenannte Pflichtverletzung den Wiederholungsfall.
3. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebietet es, dem Betriebsrat mit der Kündigungsanhörung auch eine bereits vorliegende Gegedarstellung des Arbeitnehmers zu übermitteln, dessen Kündigung der Arbeitgeber beabsichtigt. Enthält eine derartige Gegendarstellung keine Einwendungen über Tatsachen, sondern lediglich Meinungsäußerungen des Arbeitnehmers, die von dem Arbeitgeber nicht geteilt werden und will der Arbeitgeber die Kündigung nicht auf diese als unzutreffend angesehenen Einwendungen des Arbeitnehmers stützen, liegt keine bewusste und gewollte Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Unterrichtung des Betriebsrats vor, wenn der Arbeitgeber die Gegendarstellung der Betriebsratsanhörung vor Ausspruch der Kündigung nicht beifügt.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Arnsberg (Urteil vom 16.08.2005; Aktenzeichen 3 Ca 273/05 O) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 16.08.2005 – 3 Ca 273/05 O – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 11.02.2005 nicht zum 11.02.2005 beendet worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz trägt der Kläger 6/7, die Beklagte 1/7. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3 zu tragen.
Tatbestand
Im Berufungsverfahren streiten die Parteien noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen und einer ordentlichen Kündigung, um Weiterbeschäftigung sowie um die Rücknahme einer Ermahnung und weiterer Abmahnungen.
Der Kläger ist am 21.01.1971 geboren, verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet. Er ist türkischer Staatsangehöriger. Seit dem 04.10.1994 ist er bei der Beklagten, die ca. 700 Mitarbeiter beschäftigt, als Anlagenbediener in der Imprägnierung, zuletzt auch als stellvertretender Schichtführer aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 13.10.1995 (Bl. 11 ff.d.A.) tätig. Er erzielte zuletzt einschließlich Sonderzahlungen einen monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von durchschnittlich 3.800,00 EUR.
In der Vergangenheit erhielt der Kläger von der Beklagten eine schriftliche Ermahnung sowie weitere schriftliche Abmahnungen; ob sie berechtigterweise erteilt worden sind, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 09.02.2002 war der Kläger in der Frühschicht von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr tätig. Gegen 9.30 Uhr verließ er nach einer Mitteilung an seine Schichtkollegen ohne weitere Abmeldung bei seinen Vorgesetzten seinen Arbeitsplatz, um Möbel mit einem vorher bestellten Leihwagen abzuholen.
Daraufhin erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 19.02.2002 (Bl. 44 d.A.) eine Abmahnung. In dieser Abmahnung heißt es u.a.:
„Sie haben durch Ihr Verhalten gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Wir raten Ihnen dringend, weitere Verstöße gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zu vermeiden, denn dadurch gefährden Sie den Fortbestand Ihres Arbeitsverhältnisses.”
Mit Schreiben vom 03.04.2002 (Bl. 130 d.A.) nahm der Kläger zu der erteilten Abmahnung vom 19.02.2002 Stellung. Das Schreiben des Klägers vom 03.04.2002 nahm die Beklagte zu den Personalakten.
Am 13.01.2005 war der Kläger nach der im Betrieb der Beklagten existierenden elektronischen Zeiterfassung von 13.42 Uhr bis 14.31 Uhr im Unternehmen der Beklagten. Auf dem Original des Stundensammelbelegs für den 13.01.2005 – im Betrieb werden hinsichtlich der von den Arbeitnehmern geleisteten Arbeitsstunden Stundensammelbelege geführt, die aus Original und Durchschriften bestehen – war eine Arbeitszeit für den Kläger nicht vermerkt. Das Original des Belegs für den 13.01.2005 war vom Schichtleiter J1xxxxx unterzeichnet. Auf einer Durchschrift des Sammelbelegs für...