Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsabsicht als regelmäßiges Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Religionsgemeinschaften als Arbeitgeber

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn die Erwerbsabsicht keine notwendige Bedingung für die Arbeitnehmereigenschaft ist, spricht ihr Fehlen doch im Rahmen einer Gesamtwürdigung gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses. Wesen des Arbeitsverhältnisses ist der Austausch von Arbeit und Lohn. Für die Beurteilung der Erwerbsabsicht ist abzustellen auf die Umstände, von denen die Vertragsparteien ausgehen konnten, und nicht auf nicht mitgeteilte Absichten einer der Vertragsparteien.

Beruft sich ein Verein zur Abwehr einer Inanspruchnahme als Arbeitgeber darauf, das Mitglied sei für ihn als Vereinsmitglied tätig, er sei eine Religionsgemeinschaft oder weltanschauliche Vereinigung und das Vertragsverhältnis zwischen ihm und seinem Mitglied sei durch diese Religion oder Weltanschauung geprägt, so hat er dies geltend zu machen und hierfür Anhaltspunkte vorzutragen. Ist dies erfolgt, verbleibt es bei der grundsätzlichen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.

 

Leitsatz (redaktionell)

Auch Religionsgemeinschaften und weltanschauliche Vereinigungen können Arbeitnehmer beschäftigen. Dann muss das Verhältnis der Vertragsparteien durch Religion oder Weltanschauung geprägt sein. Es obliegt der Religionsgemeinschaft oder der Vereinigung, das Vorliegen eines Arbeitsvertrags vorzutragen und ggfs. zu beweisen.

 

Normenkette

BGB §§ 611a, 58 Nr. 2; GG Art. 4; WRV Art. 137; MiLoG § 1; SGB III § 312; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 7

 

Verfahrensgang

ArbG Detmold (Entscheidung vom 15.10.2021; Aktenzeichen 3 Ca 696/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgericht Detmold, verkündet am 15. Oktober 2021, - 3 Ca 696/20 - abgeändert.

Die Klage wird vollen Umfangs abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche, wobei Streit besteht, ob die Dienstleistungen auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses oder der Mitgliedschrift in einer religiösen Gemeinschaft, die als Verein organisiert ist, erbracht wurde.

Der Beklagte ist ein eingetragener Verein mit Sitz in A, der als gemeinnützig anerkannt ist. Er wurde 1995 gegründet. Seine innere Verfassung wird geregelt durch seine Satzung und sogenannte Smriti. Beide sind im Lauf der Jahre durch Abstimmungen in Mitgliederversammlungen geändert worden, besonders häufig die Smriti. Die Smriti umfassen mehr als 100 Seiten und betreffen vor allem das Zusammenleben der Vereinsmitglieder, die in sog. B zusammenleben und C genannt werden.

Dem Beklagten gehören rund 240 C-Mitglieder an. In A in D liegt der Haupt-B. Auf dem weiträumigen Gelände des Beklagten befinden sich Seminarräume, Gemeinschaftsräume (z.B. zur Einnahme der Mahlzeiten), Unterkünfte für Gäste und auch die Unterkünfte der C. Jedes C-Mitglied bzw. jede Familie hat eine eigene Unterkunft.

Der Beklagte ist Alleingesellschafter der Yoga E GmbH, die ihre Gewinne an den Beklagten abführt. Die Yoga E GmbH war im erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren Beklagte zu 2), bis die Klage gegen sie zurückgenommen wurde.

Vorsitzender des Beklagten ist seit seiner Gründung F.. Dieser verfügt über große Autorität innerhalb des Beklagten und wird bislang regelmäßig wiedergewählt, ohne dass es (soweit bekannt) jemals zu einer Gegenkandidatur gekommen wäre. Bei den C ist es verbreitet, in einer Zeremonie einen spirituellen Namen anzunehmen. Der innerhalb der Gemeinschaft verwendete spirituelle Name des Vorsitzenden F. lautet G.

In der Satzung des Beklagten (Stand Dezember 2019), auf die wegen ihrer Einzelheiten Bezug genommen wird, wird in der Präambel zunächst Yoga positiv gewürdigt und unter anderem ausgeführt, der Beklagte sei einem humanistisch-spirituellem Welt- und Menschenbild verpflichtet, das von Respekt zu allen Menschen, unabhängig von ihrer (unter anderem) religiösen Herkunft geprägt sei. Die Mitglieder fühlten sich verpflichtet, den Menschen durch Verbreitung der Wissenschaft des Yoga und verwandter Übungssysteme zu dienen.

Nach § 2 der Satzung ist als Zweck des Vereins die Volksbildung durch die Verbreitung des Wissens, der Lehre, der Übungen und der Techniken des Yoga und verwandter Disziplinen sowie die Förderung der Religion geregelt. Der Satzungszweck werde insbesondere verwirklicht durch die Errichtung von Zentren, in denen Yoga und verwandte Disziplinen gelehrt werden, die Errichtung von Yoga-Seminarhäusern und die Schaffung von Yoga E C Gemeinschaften, in denen in alter indischer religiöser B und Kloster-Tradition Menschen in Lebensgemeinschaften zusammenleben, die sich ganz der spirituell-religiösen Praxis widmen im Sinne von Sadhana (spirituelle Übung), Satsang (gemeinsame Meditation, Mantrasingen, Lesung, Lichtzeremonie), Sattwa (spiritueller Lebensstil) und Seva (uneigennütziger Dienst). Des Weiteren sollen verschiedene Kurse, Workshops, ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge