Entscheidungsstichwort (Thema)
Gruppenstufenzuordnung eines Verbundzustellers im Entgelttarifvertrag. Unzulässige Regelung, dass eine Weiterbeschäftigung als Festangestellter nach zuvor 2 Befristungen als neues Arbeitsverhältnis anzusehen ist
Leitsatz (amtlich)
Die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 1 ETV-A AG in der Fassung gemäß Tarifvertrag Nr. 200 vom 22.03.2019, der zwischen der A AG und ver.di abgeschlossen wurde, verstößt gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Die Stichtagsregelung stellt eine mittelbare Benachteiligung der Arbeitnehmer dar, die vor dem Stichtag befristet beschäftigt waren und über den Stichtag hinaus weiterbeschäftigt werden, weil die Neubegründung eines befristeten oder unbefristeten Arbeitsverhältnisses nach dem Stichtag zu längeren Stufenlaufzeiten führt. Diese mittelbare Benachteiligung ist durch Sachgründe nicht gerechtfertigt.
Normenkette
TzBfG § 4 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Bocholt (Entscheidung vom 22.09.2023; Aktenzeichen 2 Ca 97/23) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 22.09.2023 - 2 Ca 97/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Ziffer 4 des Urteilstenors wird klarstellend wie folgt gefasst:
Es wird festgestellt, dass sich die Zuordnung des Klägers zu den Gruppenstufen der Entgeltgruppe nach § 4 Abs. 1 Buchst. a ETV-A AG in der Fassung gemäß Tarifvertrag Nr. 200 vom 22.03.2019, der zwischen der A AG und ver.di abgeschlossen wurde, richtet.
Die Revision für die Beklagte wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gruppenstufenzuordnung des Klägers im Entgelttarifvertrag der A AG (nachfolgend: ETV-A AG).
Der Kläger ist seit dem 01.09.2017 als Verbundzusteller bei der Beklagten beschäftigt. Zwischen den Parteien bestand zunächst ein Arbeitsverhältnis, das kraft arbeitsvertraglicher Abrede auf den 30.06.2019 befristet war. Unter dem 24.06.2019 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, der vorsieht, dass der Kläger am 01.07.2019 als vollbeschäftigter Arbeitnehmer eingestellt wird und in die Entgeltgruppe 3 ETV-A AG eingruppiert ist. Im Arbeitsvertrag heißt es ferner:
"Das Arbeitsverhältnis ist zweckbefristet für folgenden Zweck: Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters B, jedoch längstens bis 07.12.2019."
Unter dem 25.10.2019 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, der vorsieht, dass der Kläger am 01.11.2019 als vollbeschäftigter Arbeitnehmer eingestellt wird und in die Entgeltgruppe 3 ETV-A AG eingruppiert ist. Dieser Arbeitsvertrag enthält keine Befristungsabrede. Sowohl der Arbeitsvertrag vom 24.06.2019 als auch der Arbeitsvertrag vom 25.10.2019 sehen vor, dass für das Arbeitsverhältnis unter anderem der ETV-A AG anzuwenden ist.
Zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di wurde am 22.03.2019 der "Tarifvertrag Nr. 200" abgeschlossen, der eine Änderung des ETV-A AG für bei der Beklagten ab dem 01.07.2019 neu begründete Arbeitsverhältnisse regelt. § 1 des Tarifvertrages Nr. 200 lautet auszugsweise:
"§ 4 ETV-A AG erhält folgende Fassung:
"(1) Die Zuordnung des Arbeitnehmers zu Gruppenstufen innerhalb der Entgeltgruppe erfolgt nach den in dieser Entgeltgruppe seit dem Eingruppierungsanspruch erbrachten Tätigkeitsjahren.
a) Der Arbeitnehmer, der am 30. Juni 2019 bereits und am 01. Juli 2019 noch in einem Arbeitsverhältnis zur A AG stand, wird folgenden Gruppenstufen in der jeweiligen Entgeltgruppe zugeordnet:
im 1. und 2. Jahr Gruppenstufe 0
ab dem 3. Jahr Gruppenstufe 1
ab dem 5. Jahr Gruppenstufe 2
(...)
b) Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nach dem 30. Juni 2019 neu begründet wird, wird folgenden Gruppenstufen in der jeweiligen Entgeltgruppe zugeordnet:
im 1. bis 4. Jahr Gruppenstufe 0
ab dem 5. Jahr Gruppenstufe 1
ab dem 9. Jahr Gruppenstufe 2
(...)"
Zum Tarifvertrag Nr. 200 existiert eine "Erklärung zur Ergebnisniederschrift" vom 22.03.2019, die auszugsweise wie folgt lautet:
"Zu TV Nr. 200 § 1
Die Tarifvertragsparteien stimmen darüber ein, dass es sich im Sinne von Buchstabe b) um die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses handelt, wenn
- sich an ein bisher sachgrundlos oder mit Sachgrund befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anschließt,
- sich an ein bisher sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis ein mit Sachgrund befristetes Arbeitsverhältnis anschließt oder
- sich an ein bisher mit Sachgrund befristetes Arbeitsverhältnis ein mit einem neuen Sachgrund befristetes Arbeitsverhältnis anschließt.
Die bloße Änderung der Wochenarbeitszeit oder Eingruppierung begründet kein neues Arbeitsverhältnis."
Der Kläger wird nach der Entgeltgruppe 3, Gruppenstufe 1, des ETV-A AG vergütet. Er bezieht in der Entgeltgruppe 3 nach Maßgabe der Gruppenstufe 1 ein Tarifentgelt in Höhe von 2.492,14 € brutto monatlich, nach der Gruppenstufe 2 wäre ein Tarifentgelt in Höhe von 2.575,88 € brutto monatlich zu zahlen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm ab dem 01.10.2021 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 3, Gruppenstufe 2 des ETV-A AG zu gewähren. Seit diesem Z...