Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen. keine Verdachtskündigung bei nicht erwiesenem Tatvorwurf
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung auch Umsetzungs- und Versetzungsmöglichkeiten zu prüfen sind und die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass auch ein einmaliges Fehlverhalten unter Umständen nachgesehen werden kann.
2. Eine Verdachtskündigung setzt voraus, dass der Arbeitgeber seine Kündigung ausdrücklich damit begründet, gerade der Verdacht eines vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört.
Normenkette
BGB § 626
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Urteil vom 25.08.2005; Aktenzeichen 1 Ca 1083/05) |
Tenor
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 25.08.2005 – 1 Ca 1083/05 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das angegriffene Urteil im Feststellungsausspruch wie folgt abgeändert wird:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 21. Mai 2005 und 24. Mai 2005 nicht aufgelöst worden ist.
Die weitergehende Feststellungsklage wird abgewiesen.
2) Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3) Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
Der am 15.08.1972 geborene Kläger ist seit dem 07.08.1995 bei der Beklagten in deren Logistikzentrum als Tischler beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 02.06.1995 (Kopie Bl. 30 – 32 d.A.). Die zuletzt bezogene Bruttomonatsvergütung des Klägers lag bei etwa 2.500,00 EUR.
Die Beklagte betreibt mehrere Möbelhäuser, in denen jeweils mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Im Logistikzentrum in P2xxxxxxx-M2xxxxxx sind ca. 130 Arbeitnehmer tätig. Leiter des Logistikzentrums ist Herr Z1xxxxxxx. Zumindest in den Arbeitsverträgen, die die Beklagte ab dem Jahre 2000 mit ihren Arbeitnehmern abgeschlossen hat, ist dokumentiert, dass der Leiter des Logistikzentrums auch zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt ist.
Ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gewählt.
Am 18.05.2005 kam es zwischen dem Kläger und dem Arbeitnehmer W3xxxxxxxx zu einer Auseinandersetzung, deren Ablauf im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist. Fest steht jedenfalls, dass der Kläger den Arbeitskollegen W3xxxxxxxx zumindest an den Kragen gefasst hat.
Am 20.05.2005 begab sich der Kläger zusammen mit dem Arbeitskollegen W5xxxxx in das Büro des Logistikleiters Z1xxxxxxx vor dem Hintergrund, dass sie mit ihm über die Frage der Vergütung von Überstunden sprechen wollten. In diesem Zusammenhang sprach der Kläger Herrn Z1xxxxxxx auch auf den Vorfall vom 18.05.2005 an. Wie Herr Z1xxxxxxx darauf reagierte, ist zwischen den Parteien ebenfalls im Streit.
Jedenfalls wurde der Kläger bei Arbeitsaufnahme am 23.05.2005 in das Büro des Logistikleiters Z1xxxxxxx zitiert, der ihn jetzt auf den Vorfall vom 18.05.2005 ansprach und nach einer Unterbrechung des Gesprächs eine auf den 21.05.2005 datierte, von ihm unterzeichnete Kündigung überreichte. In dieser Kündigung heißt es unter anderem wörtlich:
„Sehr geehrter Herr S2xxxxxxxxxxxx,
am 18.05.2005 vor Auslieferung kam es zwischen Ihnen und Herrn A2xxxx W3xxxxxxxx im Lagerbereich des Logistikzentrums zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Sie Herrn W3xxxxxxxx tätlich angriffen.
…”
Wegen der weiteren Einzelheiten der Kündigung vom 21.05.2005 wird auf die Kopie Bl. 9 d.A. Bezug genommen.
Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 24.05.2005 (Bl. 11 ff. d.A.) die – streitlos – fehlende Kündigungsvollmacht des Logistikleiters gegenüber der Beklagten gerügt hatte, kündigte die Beklagte, diesmal unterzeichnet vom – mittlerweile unstreitig – alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer N1xxxxx P5xxxxxxxx, das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Auf die Kopie Bl. 10 d.A. wird Bezug genommen.
Wegen der Vorgänge am 18.05.2005 hatte der Mitarbeiter W3xxxxxxxx gegenüber der Beklagten eine schriftliche Stellungnahme verfasst. Wegen dieser schriftlichen Stellungnahme wird auf die Fotokopie Bl. 36 d.A. (Anlage B 5 zur Klageerwiderung) Bezug genommen.
Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht Paderborn am 13.06.2005 eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen beide fristlose Kündigungen.
Er hat vorgetragen, dass die Auseinandersetzung am 18.05.2005 sich anders abgespielt habe, als der Arbeitskollege W3xxxxxxxx gegenüber der Beklagten geschildert habe. Hintergrund sei gewesen, dass die Beklagte seit längerer Zeit versuche, mit den Mitarbeitern neue Arbeitsverträge abzuschließen, die eine Ausweitung der Arbeitszeit ohne gesonderte Vergütung sowie eine teilweise Streichung von Weihnachtsgeld beinhalten sollen. Der Kläger, der seinerzeit von der Notwendigkeit der Einrichtung eines Betriebsrates gesprochen habe, ...