Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit einer Kündigung wegen häufiger Erkrankungen des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Kündigung wegen häufiger Erkrankungen des Arbeitnehmers setzt voraus, dass eine negative Gesundheitsprognose besteht, die bisherigen und die nach der Prognose zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigen und dies für den Arbeitnehmer billigerweise nicht mehr hinzunehmen ist. Beschränkt sich die erhebliche Beeinträchtigung ganz oder im Wesentlichen auf den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten, so setzt die soziale Rechtfertigung der krankheitsbedingten Kündigung außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten voraus, die den gesetzlichen Fortzahlungszeitraum des § 3 EfZG deutlich überschreiten. Sind jährliche Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen zu prognostizieren, so liegt eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung vor.

2. Bei langjährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses seit mehr als 15 Jahren, vorgerücktem Lebensalter des Arbeitnehmers und seiner sonstigen sozialen Situation genügt eine Belastung mit Lohnfortzahlungskosten für wenig mehr als 30 Tage jährlich nicht den Anforderungen der Rechtsprechung.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Detmold (Entscheidung vom 06.03.2013; Aktenzeichen 2 Ca 614/12)

 

Tenor

Das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 06.03.2013 - 2 Ca 614/12 - wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.05.2012 das Arbeitsverhältnis nicht zum 30.11.2012 und auch nicht zu einem anderen Zeitpunkt aufgelöst hat.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen erklärten Kündigung vom 30.05.2012 zum 30.11.2012.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 21.06.1996 als Maschinenbediener beschäftigt. Das monatliche Bruttoeinkommen des Klägers beträgt € 2.600,00. Die Beklagte beschäftigt ca. 160 Arbeitnehmer. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.

In dem Kalenderjahr 2007 war der Kläger an 43 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2008 war der Kläger ebenfalls an 43 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2009 war der Kläger an 42 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2010 war der Kläger an 32 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2011 war der Kläger an 49 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt und in dem Kalenderjahr 2012 war der Kläger an 10 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Es handelte sich jeweils um wiederholte Kurzerkrankungen. Wegen der genauen Lage der Arbeitsunfähigkeitszeiträume wird auf die Auflistung auf Bl. 39 - 48 GA Bezug genommen (Anlage B 2 zur Klageerwiderung vom 27.09.2012). Die Beklagte leistete in den Kalenderjahren 2007 bis 2011 für alle krankheitsbedingt versäumten Arbeitstage Entgeltfortzahlung.

Mit Schreiben vom 21.05.2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer gegenüber dem Kläger beabsichtigten Kündigung an (Bl. 49-51 GA). Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 30.05.2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich und fristgemäß zum 30.11.2012. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 15.06.2012 vor dem Arbeitsgericht Detmold erhobenen Klage.

Der Kläger hat vorgetragen, es treffe zu, dass er in den Jahren 2007 bis 2011 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten gehabt habe. Im Kalenderjahr 2012 habe er jedoch nur an zehn Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Dies sei eine Fehlzeitquote, die als normal und durchschnittlich zu bezeichnen sei. Eine negative Gesundheitsprognose sei nicht gegeben. Zu berücksichtigen sei, dass er bis zum Jahre 2010 pro Schicht zwischen 60 und 80 Säcken mit Material zum Befüllen der Maschinen anheben und zu den Maschinen habe tragen müssen. Erst im Kalenderjahr 2010 sei eine technische Lösung gefunden worden, die ein Befüllen der Maschinen mit den 25 - 40 kg schweren Säcken ohne Hebe- und Trageleistung der Arbeitnehmer ermöglicht habe. Er habe daher von 1996 bis 2012 pro Schicht 60 bis 80 Mal Materialsäcke angehoben und getragen, die immerhin 25 - 40 kg schwer gewesen seien. Aufgrund dessen habe er einen Leistenbruch erlitten, der hauptsächlich für die Arbeitsunfähigkeitszeiten verantwortlich sei. Im Kalenderjahr 2012 sei er nicht mehr so häufig arbeitsunfähig erkrankt, weil der Leistenbruch nunmehr ausgeheilt sei. Bereits im Kalenderjahr 2007 habe eine Leistenbruch-OP stattgefunden. Aber erst seit der Implantation eines Netzes in dem Kalenderjahr 2009 seien die Beschwerden an der rechten Leiste verschwunden. Der Kläger hat die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden, damit gegebenenfalls Auskünfte eingeholt werden könnten. Seines Erachtens sei jedoch die Indizwirkung, die durch die Fehlzeiten der Vorjahre hätten entstehen können, durch die geringen Fehl...

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