Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Beschränkt sich die Beeinträchtigung des Arbeitgebers durch eine chronische Erkrankung eines Arbeitnehmers auf den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten, so fällt die Interessenabwägung zu Gunsten des Arbeitnehmers aus, wenn das Arbeitsverhältnis bereits seit mehr als 35 Jahren besteht und die Entgeltfortzahlungskosten nur wenige Tage über dem 6-Wochen-Zeitraum des EFZG liegen.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 01.04.2015; Aktenzeichen 4 Ca 316/15) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 01.04.2015 - 4 Ca 316/15 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.11.2014 zum 30.06.2015 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist seit dem 01.06.1978 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 3.141,65 € im Bereich der Rollerhead-Anlage in der Vorstufenfertigung.
Der Kläger ist an Morbus Crohn erkrankt. Seit dem Jahr 2000 ist der Kläger wiederholt krankheitsbedingt ausgefallen. Von 2010 bis 2014 sind insbesondere folgende Krankheitszeiten angefallen:
2010 |
29 Arbeitstage |
2011 |
49 Arbeitstage |
2012 |
80 Arbeitstage |
2013 |
31 Arbeitstage |
2014 |
47 Arbeitstage |
Wegen der Art der Erkrankungen des Klägers in den letzten Jahren ab dem 17.08.2011 wird auf den vom Kläger im Berufungsrechtszug vorgelegten "Gesamtauszug Leistungen" der Krankenkasse Bezug genommen (Anlage K 7 Bl. 147 GA). Der Kläger verfügt über einen GdB von 40. Inzwischen ist der Kläger durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 27.04.2015 mit Wirkung ab dem 17.11.2014 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt (Bl. 122 GA).
Der Beklagten entstanden für Krankheitszeiten des Klägers seit 2010 Entgeltfortzahlungskosten i.H.v. 27.405,14 €, die sich wie folgt zusammensetzen:
2010 |
4.476,15 € für 29 Arbeitstage |
2011 |
7.838,76 € für 49 Arbeitstage |
2012 |
6.543,45 € für 37 Arbeitstage |
2013 |
5.528,85 € für 31 Arbeitstage |
2014 |
3.017,93 € für 17 Arbeitstage |
Auf die von der Beklagten insoweit vorgelegten schriftlichen Auswertungen wird ergänzend Bezug genommen (Anlagen B 1 - B 7, Bl. 59 - 65 GA). Aufgrund der häufigen Fehlzeiten des Klägers forderte die Beklagte den Kläger zweifach auf, an der Durchführung eines Eingliederungsmanagements teilzunehmen (Anlage B 8, Bl. 66, 67 GA, Anlage B 10, Bl. 69 GA). Der Kläger lehnte dies ab (Anlage B 9, Bl. 68 GA). Bei der Beklagten bestand bis Ende 2015 die Möglichkeit der Beantragung einer Altersteilzeit. Der Kläger sprach darüber mit dem Personalreferenten der Beklagten, Herrn C. Diese Gespräche haben nicht dazu geführt, dass der Kläger diese Möglichkeit wahrnehmen konnte.
Mit Schreiben vom 03.11.2014 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer krankheitsbedingten Kündigung des Klägers an (Anlage B 12, Bl. 71 ff GA). Mit Schreiben vom 10.11.2014 teilte der Betriebsrat mit, er habe von der beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung Kenntnis genommen. Mit Schreiben vom 11.11.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2015. Mit Schreiben vom 17.11.2014 wies der Kläger die Kündigung wegen Fehlens eines Nachweises über die ordnungsgemäße Vollmacht zurück. Die Kündigung war unterschrieben von Herrn V, einem der Geschäftsführer der Beklagten, und Herrn S aus der Personalabteilung.
Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit der bei Gericht am 26.11.2014 eingegangenen Klage.
Der Kläger hat behauptet, der Beklagten sei bereits seit längerem bekannt, dass er an Morbus Crohn erkrankt sei. Seine Fehlzeiten seien aber nicht nur auf diese Erkrankung sondern unter anderem auch auf einen Bandscheibenvorfall zurückzuführen. Eine betriebliche Beeinträchtigung durch die Krankheitstage bestünde nicht. Bei der Beklagten sei ein Schichtbetrieb eingerichtet und es gebe für ihn, den Kläger, Vertreter. Es könne zudem auch auf Leiharbeitnehmer zurückgegriffen werden. Die entstandenen Lohnfortzahlungskosten stünden zu den übrigen Lohnkosten der Beklagten insgesamt in keinem Verhältnis, so dass auch aufgrund der geleisteten Entgeltfortzahlung keine Beeinträchtigung der Beklagten bestünde.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 11.11.2014 zum 30.6.2015 beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, ihr sei lediglich bekannt gewesen, dass der Kläger eine Darmerkrankung habe. Dass es sich dabei um Morbus Crohn handele, habe sie nicht gewusst. Durch den Ausfall des Klägers sei es in der Vergangenheit bereits zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen gekommen. Dies zeige sich zum einen in der für den Kläger in der Zeit seines Krankheitsausfalls angefallenen Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 27.405,14 €. Zudem sei es durch den Ausfall des Klägers zu erheblichen ...