Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. verhaltensbedingte Gründe. Verstoß gegen Rücksichtnahmepflicht durch "Angebot" des Arbeitnehmers bei Erteilung von Urlaub von der Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzusehen. Abmahnung. Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung. Erforderlichkeit einer Abmahnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein Arbeitnehmer "angeboten", Urlaub zu nehmen, um seine Erkrankung auszukurieren, der Arbeitgeber aber trotz des wiederholten Drängens des Arbeitnehmers den gewünschten Urlaub aus betrieblichen Gründen definitiv abgelehnt, stellte der Hinweis des Arbeitnehmers auf die Alternative, sich vom behandelnden Arzt krankschreiben zu lassen oder den bislang verweigerten Urlaub genehmigt zu erhalten, aus Sicht des Arbeitgebers die Ausübung unzulässigen Drucks dar.
2. Auch bei Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung bedarf es im Grundsatz jedoch vor Ausspruch der Kündigung einer entsprechenden Abmahnung, sofern nicht ausnahmsweise der Arbeitnehmer auch bei verständiger Betrachtung weiß oder erkennen kann, dass eine Hinnahme derartiger Verhaltensweisen keinesfalls in Betracht kommt.
Normenkette
KSchG §§ 1, 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 17.01.2012; Aktenzeichen 3 Ca 2414/12) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 17.01.2012 - 3 Ca 2414/11 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.08.2011 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner Klage hat sich der im Jahre 1971 geborene Kläger, welcher seit Februar 1998 im Betrieb der Beklagten als LKW-Fahrer gegen eine monatliche Vergütung von 2.600,-- Euro brutto beschäftigt ist, gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche und ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung vom 31.08.2011 gewandt. Nachdem das Arbeitsgericht die außerordentliche Kündigung für unwirksam erklärt, hingegen die Klage gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung mit Wirkung zum 31.01.2012 abgewiesen hat, steht im Berufungsrechtsstreit allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche Kündigung im Streit.
Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte auf den Vorwurf, der Kläger habe, nachdem sein Antrag auf Urlaubsbewilligung für die Zeit vom 21.08. bis 04.09.2011 wiederholt aus betrieblichen Gründen abgelehnt worden sei, den Versuch unternommen, sie - die Beklagte - in unzulässiger Weise zur Urlaubserteilung zu nötigen. So sei der Kläger unmittelbar vor dem begehrten Urlaubstermin am Freitag, den 19.08.2011 mit einer Manschette um den Arm in das Büro des Geschäftsführers gekommen und habe erklärt, der Geschäftsführer der Beklagten solle den Arzt D1. B1 anrufen, welcher bestätigen könne, dass er - der Kläger - krank und nicht arbeitsfähig sei. In diesem Zusammenhang habe der Kläger sodann vorgeschlagen, er werde, wenn er zu dem gewünschten Termin Urlaub erhalte, keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen und nach Urlaubsende geheilt seine Arbeit wieder aufnehmen. Nachdem dieser Vorschlag abgelehnt worden sei, habe sich der Kläger in die Krankheit geflüchtet und ab dem 20.08.2011 bis zum 07.09.2011 arbeitsunfähig krankschreiben lassen. Allein der Umstand, dass der medizinische Dienst der Krankenkasse am 07.09.2011 die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bestätigt habe und die Arbeitsunfähigkeit auch gegenwärtig fortbestehe, ändere nichts daran, dass der Kläger jedenfalls den unzulässigen Versuch unternommen habe, die Beklagte unter Druck zu setzen, wobei ihm jedes Mittel recht gewesen sei. Dieses Verhalten stelle einen erheblichen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht dar und mache auch ohne vorangehende Abmahnung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar.
Demgegenüber hat der Kläger vorgetragen, er habe am 19.08.2011 nicht etwa eine künftige Erkrankung angekündigt, vielmehr habe er bereits seit längerer Zeit unter erheblichen Schmerzen im rechten Arm gelitten, gleichwohl aber weiter gearbeitet. Nachdem die Schmerzen zuletzt stark zugenommen hätten, habe er sich am 18.08.2011 in ärztlicher Behandlung begeben. Trotz Spritzenbehandlung seien die Schmerzen indessen nicht abgeklungen, weswegen er im Gespräch mit dem Arbeitgeber am 19.08.2011 auf die bestehende Erkrankung verwiesen habe. Da er bereits in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum krankheitsbedingt ausgefallen sei, sei es ihm mit seinem Vorschlag, ohne Krankschreibung in Urlaub zu fahren, darum gegangen, im Kompromisswege eine weitere Belastung des Betriebes mit Entgeltfortzahlungskosten zu vermeiden.
Durch Urteil vom 17.01.2012 (Bl. 47 ff. der Akte), auf welches wegen des weiteren Sachverhalts und der Fassung der Anträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, soweit sie sich gegen die ordentliche Kündigung vom 31.08.2011 mit W...