Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers bei Weiterbeschäftigung während des laufenden Kündigungsrechtsstreits zur Abwendung der Zwangsvollstreckung. Begründetheit von Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und auf Feiertagsvergütung sowie auf Urlaubsentgelt
Leitsatz (amtlich)
1. Beschäftigt der Arbeitgeber nach Ausspruch einer Beendigungskündigung aufgrund einer entsprechenden erstinstanzlichen Verurteilung den Arbeitnehmer zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung vorläufig weiter und schließen die Parteien in zweiter Instanz einen Vergleich, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum vorgesehenen Kündigungstermin zum Inhalt hat, bestimmen sich Vergütungsansprüche des Arbeitsnehmers für die Zeit der tatsächlichen Weiterbeschäftigung grundsätzlich nach § 818 Abs. 2 BGB. Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und auf Feiertagsvergütung bestehen für diesen Zeitraum nicht (im Anschluss an BAG, Urteil vom 10.03.1987 - 8 AZR 146/84).
2. Der Arbeitgeber ist in einem solchen Fall aber in unionrechtskonformer Auslegung des Bundesurlaubsgesetzes verpflichtet, Urlaubsentgelt nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zu zahlen (insoweit abweichend von BAG, Urteil vom 10.03.1987 - 8 AZR 146/84), weil auch die Weiterbeschäftigung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung ein Arbeitsverhältnis im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung begründet.
3. Gewährt der Arbeitgeber einem zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung weiterbeschäftigten Arbeitnehmer in der betriebsüblichen Art und Weise Urlaub, ist er für den Zeitraum der Urlaubserteilung zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verpflichtet. Eine mit der Urlaubsgewährung erklärte Ankündigung, kein Urlaubsentgelt zahlen zu wollen, stellt eine unbeachtliche protestatio facto contraria dar (abweichend von BAG, Urteil vom 19.01.2016 - 2 AZR 449/15).
Normenkette
EntgFG § 1; BUrlG § 11; BGB § 818 Abs. 2; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 20.03.2018; Aktenzeichen 5 Ca 2033/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 20.03.2018 - 5 Ca 2033/17 - abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu tenoriert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.130,70 € brutto neben Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.03.2018 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
- Die Revision wird zugunsten der Beklagten zugelassen
Tatbestand
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche.
Der Kläger war bei der Beklagten seit 2010 als Schlosser gegen einen Stundenlohn in Höhe von zuletzt 20,20 Euro brutto in der 40-Stunden-Woche (8,25 Stunden montags bis donnerstags und 7,00 Stunden freitags) beschäftigt. Mit Schreiben vom 31.08.2015 hatte die Beklagte das mit dem Kläger geschlossene Arbeitsverhältnis zum 30.09.2015 gekündigt. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage war erfolgreich. Das Arbeitsgericht Iserlohn (Az. 2 Ca 1573/15) verurteilte die Beklagte mit Urteil vom 15.08.2017 zugleich, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Schlosser weiter zu beschäftigen. Dem kam die Beklagte zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung seit dem 31.08.2017 nach. Im Berufungsverfahren schlossen die Parteien am 22.03.2018 vor dem LAG Hamm (Az. 15 Sa 1246/17) einen Vergleich, der gegen Zahlung einer Abfindung eine Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30.09.2015 zum Gegenstand hatte.
Mit seiner am 13.11.2017 eingegangenen und später erweiterten Klage hat der Kläger in dem vorliegenden Verfahren für den Zeitraum vom 31.08. bis 31.12.2017 Entgeltdifferenzen verfolgt. Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Zeitraum zwar geleistete Arbeitsstunden des Klägers ordnungsgemäß vergütet, aber für Krankheits- und Urlaubszeiten sowie für die gesetzlichen Feiertage kein Entgelt gezahlt.
Der Kläger erkrankte am 31.08.2017 nach 1 1/4 Stunden geleisteter Arbeit und war nachfolgend bis einschließlich 10. September 2017 sowie in der Zeit vom 27. September bis 30. Oktober 2017 arbeitsunfähig.
In der Zeit vom 06. November bis 31. Dezember 2017 war der Kläger freigestellt. Für diesen Zeitraum hatte er mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 09.10.2017 (Aktenblatt 18 bis 19) Bewilligung von Urlaub beantragt. Auf ein Erinnerungsschreiben vom 02.11.2017 (Aktenblatt 184) antwortete der Prozessbevollmächtigte der Beklagten per E-Mail vom gleichen Tag: "... Der von Herrn U beantragte Urlaub ab dem 06.11.2017 bis zum 31.12.2017 wird im Rahmen der Prozessbeschäftigung von unserer Mandantin 'bewilligt'". Am folgenden Tag übergab der Geschäftsführer der Beklagten im Beisein des Personalsachbearbeiters...