Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Das Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements führt jedenfalls dann zur Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, wenn denkbar ist, dass das Eingliederungsmanagement ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte.
Normenkette
SGB IX § 167 Abs. 2 (alt: SGB IX § 84 Abs. 2); KSchG § 1 Abs. 1, 2 S. 1; SGB IX § 167 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 17.08.2017; Aktenzeichen 1 Ca 791/16) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 17.08.2017 - 1 Ca 791/16 - abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 05.04.2016 nicht beendet worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung.
Der 1965 geborene Kläger, verheiratet und noch einem Kind unterhaltspflichtig, ist seit 1995 bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrags vom 09.01.1995 (für die Einzelheiten: Bl. 50 - 51 d. A.) beschäftigt. Er weist einen anerkannten Grad der Behinderung von 100 auf.
Die Beklagte, für deren Betrieb ein Betriebsrat gebildet ist, betreibt mit etwa 200 Arbeitnehmern ein Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie.
Der Kläger war zunächst in der Gerberei eingesetzt. Seit 1996 war er Mitarbeiter in der Abteilung "Führungsbahnabdeckungen" und arbeitete über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren als Blockschweißer. Zum Zeitpunkt seiner Kündigung war er in der Abteilung "Trumpf" tätig, beschäftigt mit HF-Schweißarbeiten. Das monatliche Bruttoentgelt des Klägers belief sich zuletzt auf 2.300,00 €.
Mit Schreiben vom 05.04.2016 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zu dem Klägers aus krankheitsbedingten Gründen zum 30.11.2016 (Bl. 10 d. A.).
Zuvor hatte das Integrationsamt Westfalen durch Bescheid vom 04.03.2016 die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses erteilt (Bl. 7 - 9R d. A.). Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, der abschlägig beschieden wurde. Der Kläger hat sodann Klage vor dem Verwaltungsgericht Minden (6 K 2594/17) gegen die Entscheidung des Widerspruchsausschusses erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Der Kläger wurde von der Beklagten im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses weiter beschäftigt. In diesem war er bis zum 10.04.2017 tätig und ist seitdem durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
Gegen die Kündigung vom 05.04.2016 hat sich der Kläger mit seiner am 05.04.2016 bei Gericht eingegangenen Klage gewehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Trotz seiner erheblichen Vorerkrankungen sei er durchaus in der Lage, für die Beklagte vertragsgemäß zu arbeiten. Der Kläger geht zudem davon aus, dass die Entscheidung des Integrationsamts rechtswidrig sei, so dass die Kündigung der Beklagten an einer fehlenden Zustimmung scheitere. Der Kläger hat schließlich bestritten, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß gehört worden sei.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Kündigung vom 05.04.2016 beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die streitgegenständliche Kündigung als rechtswirksam verteidigt und gemeint, die Kündigung sei als krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers in der Vergangenheit begründeten die tatsächliche Vermutung, dass auch in Zukunft mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen sei. Der Kläger sei
im Jahr 2008 an 133 Arbeitstagen,
im Jahr 2009 an 102 Arbeitstagen,
im Jahr 2010 an 17 Arbeitstagen,
im Jahr 2011 an 118 Arbeitstagen,
im Jahr 2012 an 251 Arbeitstagen,
im Jahr 2013 an 111 Arbeitstagen,
im Jahr 2014 an 68 Arbeitstagen,
im Jahr 2015 an 157 Arbeitstagen,
im Jahr 2016 an 33 Arbeitstagen (bis zur Kündigung)
krank gewesen.
Insgesamt habe sie in der Zeit von 2008 bis 2016 an Entgeltfortzahlungskosten 41.228,00 € aufgebracht. Diese Entgeltfortzahlungskosten seien für sie wirtschaftlich nicht mehr tragbar. Hinzu komme, dass ein Arbeitseinsatz des Klägers aufgrund der Häufigkeit und Dauer seiner Erkrankungen nicht mehr planbar sei. Seine persönlichen Fehlzeiten lägen deutlich über den Fehlzeiten aller anderen Mitarbeiter.
Aufgrund der hohen Fehlzeiten sei mit dem Kläger am 26.03.2008 ein Gespräch zur Einleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) geführt worden. In diesem Gespräch habe der Kläger mitgeteilt, dass die erheblichen Fehlzeiten in den ersten drei Monaten des Jahres auf einer Bypass-Operation beruhten. Im weiteren Verlauf sei eine Wiedereingliederung erfolgreich am 19.05.2008 abgeschlossen worden. Ihre Betriebsärztin, Frau Dr. N, habe mitgeteilt, dass keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Arbeit an der Kleinblocks...