Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Unkündbarkeit nach § 20 Ziffer 4 MTV Elektro- und Metallindustrie NRW Ausnahmsweise Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung. Anforderungen an zumutbaren Arbeitsplatz bei ordentlicher Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung. Interessenausgleich mit Namensliste vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Kündigung durch den Insolvenzverwalter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nach § 20 Ziffer 4 MTV Elektro- und Metallindustrie NRW ist nicht generell bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG aufgehoben.

2. Die Einbeziehung eines grds. nach § 20 Ziffer 4 MTV Elektro- und Metallindustrie NRW ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers in die soziale Auswahl bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung setzt voraus, dass kein zumutbarer Arbeitsplatz vorhanden ist. Dies muss nicht ein freier Arbeitsplatz sein.

3. Für die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Erstellung der Namensliste entscheidend. Dies gilt auch dann, wenn später das Insolvenzverfahren eröffnet wird und die Kündigung des bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers vom Insolvenzverwalter unter Bezugnahme auf den Interessenausgleich mit Namensliste erklärt wird, auf der der Name des gekündigten Arbeitnehmers aufgeführt ist.

 

Normenkette

KSchG § 1; InsO §§ 113, 125; MTV Elektro- und Metallindustrie NRW § 20 Ziff. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 09.03.2010; Aktenzeichen 1 Ca 1979/09)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 6 AZR 449/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 09.03.2010 – 1 Ca 1979/09 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der am 20.02.1949 geborene, verheiratete Kläger, der als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, wurde von der Beklagten mit Wirkung zum 20.11.1972 auf der Grundlage eines schriftlichen Formulars „Personalbogen und Einstellungsvereinbarungen” vom 20.11.1972 als Walzwerker eingestellt. Zuletzt übte der Kläger die Tätigkeiten eines Helfers und eines Staplerfahrers bei einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelt von 3.000,00 Euro und einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche aus.

Das Formular „Personalbogen und Einstellungsvereinbarungen” vom 20.11.1972 (Bl. 7, 8 d. GA) enthält u.a. folgende Regelung:

„…

Einstellungsvereinbarung:

Auf das Arbeitsverhältnis finden jeweils die für den Betrieb maßgeblichen Tarifbestimmungen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens sowie die Bestimmungen der Arbeitsordnung Anwendung.

… „

§ 20 der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (Im Folgenden MTV Metallindustrie NRW) enthält u.a. folgende Regelung:

„…

§ 20 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

4. Beschäftigten, die das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb/Unternehmen 10 Jahre angehören, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

Dies gilt auch bei Änderungskündigungen im Einzelfall zum Zwecke der Entgeltminderung;

nicht jedoch

  1. bei allen sonstigen Änderungskündigungen oder
  2. bei Betriebsänderungen, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist, oder
  3. bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

… „

Die Beklagte – ein Unternehmen der Kaltwalzindustrie mit Sitz in H1 – betreibt einzelne Werke an den Standorten in H1 und in G1. Am Standort in H1 gliedert sich der Betrieb in insgesamt vier Werke: TOP (T2 oberflächenveredelte Produkte), TFP (T2 Flachdraht und Profile), THX (Thenox) und TKW (T2 Kaltwalzwerke). Sowohl für den Betrieb in H1 als auch in G1 ist ein Betriebsrat gewählt. Darüber hinaus ist auf Unternehmensebene ein Gesamtbetriebsrat eingerichtet. Der Vorsitzende des Betriebsrates des H1 Betriebes, Herr M3 W1, ist zugleich auch Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates.

Nachdem die Beklagte am 23.03.2009 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragte, bestellte das Amtsgericht Hagen mit Beschluss vom gleichen Tage Herrn Rechtsanwalt P1 zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Dieser Beschluss wurde u. a. unter dem 15.05.2009 dahingehend ergänzt, dass das Amtsgericht Hagen Herrn P1 die Funktion des „starken” Insolvenzverwalters übertrug. Wegen der Einzelheiten der Beschlüsse vom 23.03.2009 und 15.05.2009 wird auf Bl. 256 bis 261 d. GA Bezug genommen.

Nachdem die Beklagte ab dem 30.04.2009 in zahlreichen Gesprächen unter Beteiligung des Beteiligung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit den bei ihr gewählten Betriebsräten die schlechte wirtschaftliche Lage, den erheblichen Auftragsverlust und die beabsichtigte Betriebsänderung verbunden mit einem erheblichen Personalabbau erörterte, nahmen dann unter dem 05.05.2009 die Beklagte und die Betriebsräte Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan auf, die am 11.05., 14.05., 19.05. und 20.05.2009 fortgesetzt wurden. Neb...

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