Entscheidungsstichwort (Thema)
Hemmung der Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten während der Ehe. Normenverständnis zu § 207 BGB. Geltung des § 207 BGB für Ansprüche jedweder Art. Erhebung der Verjährungseinrede
Leitsatz (amtlich)
Die Verjährung von Ansprüchen zwischen Ehegatten ist gehemmt, solange die Ehe besteht. Dies gilt nicht allein für familienrechtliche Ansprüche, sondern für Ansprüche jedweder Art, so auch aus einem zwischen den Ehegatten bestehenden Arbeitsverhältnis.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschrift des § 207 BGB beruht auf der Erwägung, dass in familiären Beziehungen die Einschaltung der Gerichte untunlich und unzumutbar ist. Der Familienfriede wird gestört, wenn ein Familienmitglied zur Vermeidung der Verjährung genötigt ist, einen ihm seiner Meinung nach zustehenden Anspruch in einer zur Hemmung der Verjährung führenden Form, also insbesondere durch Klage, geltend zu machen. Unerheblich ist, ob die Verhältnisse der beteiligten Eheleute im konkreten Fall wirklich von Zusammengehörigkeitsgefühl und persönlicher Bindung geprägt werden.
2. Auf die Verjährung muss sich der in Anspruch genommene Ehepartner berufen (Einrede der Verjährung). Ob ein Hemmungsgrund gem. § 207 Abs. 1 BGB gegeben ist, hat dann das Gericht von Amts wegen zu prüfen.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1 Hs. 2, § 611a Abs. 2, § 207 Abs. 1 S. 1, §§ 209, 181, 195, 199 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamm (Entscheidung vom 21.06.2022; Aktenzeichen 4 Ca 1476-21) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 21. Juni 2022 - 4 Ca 1476/21 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte.
Der Kläger ist der Ehemann der Beklagten. Er führte aufgrund einer notariellen Generalvollmacht unter Befreiung der Beschränkung gemäß § 181 BGB die Geschäfte des Unternehmens der Beklagten und war hierfür zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 7.500,00 € bei der Beklagten als Arbeitnehmer angestellt. Die Vergütungsansprüche waren jeweils am Ersten der Folgemonate zur Zahlung fällig.
Das Unternehmen der Beklagten ist im Bereich der Gebäudetechnik tätig (AG Arnsberg HRA XXXX). Die Beklagte selbst war nicht mit dem operativen Geschäft ihres Unternehmens befasst.
Insbesondere in den Jahren 2016 und 2017, aber auch in der Folgezeit verfügte das Unternehmen der Beklagten zwar über Vermögen, nicht hingegen immer in ausreichendem Maße über Liquidität. Dies hatte seine Ursache darin, dass aufgrund hoher Gewinne in der vorhergehenden Zeit erhebliche Steuerforderungen bestanden. Zudem sollten Investitionen getätigt werden, dies auch über einen längeren Zeitraum. Aus diesem Grunde wurde dem Unternehmen der Beklagten Liquidität zugeführt. Dies erfolgte zum einen durch die Gewährung von Darlehen, aber auch durch unterbleibende Auszahlung der Nettovergütung des Klägers. Die Arbeitsvergütung des Klägers wurde zwar ordnungsgemäß abgerechnet. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wurden abgeführt. Eine Auszahlung der Nettoentgelte erfolgte hingegen nicht. Auch die auf den Abrechnungen vereinzelt aufgeführten Vorschüsse sind nicht zur Auszahlung gelangt. Im Einzelnen wurden die Nettoentgelte des Klägers wie folgt nicht ausgezahlt:
Monat |
Nettobetrag |
Juni 2016 |
4.722,14 € |
Juli 2016 |
4.710,14 € |
August 2016 |
4.734,14 € |
September 2016 |
4.722,14 € |
Oktober 2016 |
4.710,14 € |
November 2016 |
4.710,14 € |
Dezember 2016 |
4.710,14 € |
April 2017 |
4.724,01 € |
November 2017 |
4.724,01 € |
Dezember 2017 |
4.724,01 € |
Februar 2018 |
4.848,45 € |
Summe |
52.039,46 € |
Die seinerzeit einbehaltenden Nettovergütungen sind nach wie vor nicht ausgezahlt worden.
Inzwischen leben die Parteien getrennt und streben die Scheidung der Ehe an, welche jedoch noch nicht erfolgt ist.
Mit seiner Klage vom 27. Dezember 2021, beim Arbeitsgericht am selben Tage eingegangen und der Beklagten am 20. Januar 2022 zugestellt, hat der Kläger die Auszahlung der vorbenannten Nettoentgelte nebst Zinsen begehrt.
Der Kläger ist der Ansicht gewesen, die Beklagte habe die Nettoentgelte lediglich gestundet. Es sei vereinbart gewesen, dass die Auszahlung erfolge, wenn die Beklagte wieder liquide sei. Die Liquidität der Beklagten sei aufgrund der Veräußerung einer Immobilie frühestens seit dem 1. August 2019 wiederhergestellt gewesen. Er selbst habe im Rahmen der zu seinen Gunsten eingeräumten Generalvollmacht die Stundung seiner Vergütungsansprüche mangels Liquidität im Zeitpunkt der Fälligkeit konkludent vereinbart. Dass es sich lediglich um eine Stundung handele, ergebe sich daraus, dass unstreitig zum einen die Gehaltsabrechnungen erfolgt und auch Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Zum anderen spreche die Tatsache, dass die streitgegenständlichen Nettoentgelte weiterhin als Verbindlichkeiten in der Bilanz der Beklagten aufgeführt seien, für die behauptete Stundungsvereinbarung. Ohne eine solche Vereinbarung wären die Verbindlichkeiten längst wegen Verjährung ausgebucht worden...