Entscheidungsstichwort (Thema)
Unverzügliches Erklären einer außerordentlichen Kündigung nach Zustimmung des Integrationsamtes bzw. Zustimmungsfiktion. Begriff der unverzüglichen Erklärung der Kündigung i.S. von § 91 Abs. 5 SGB IX
Leitsatz (amtlich)
Die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sieben Tage nach anzunehmender Zustimmungsfiktion gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kann unter Berücksichtigung der Sachverhaltsumstände ein nicht mehr gebotenes Zuwarten mit der Kündigungserklärung bedeuten, was ein unverzügliches Erklären i.S.d. § 91 Abs. 5 SGB IX ausschließt.
Normenkette
SGB IX § 91 Abs. 3, 5
Verfahrensgang
ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 27.04.2012; Aktenzeichen 2 Ca 435/12) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 27.04.2012 - 4 Ca 435/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Seit Juli 1986 ist er bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Masseur und medizinischer Bademeister beschäftigt, zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.856,42 €.
Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 29.09.2010 das Arbeitsverhältnis aus krankheitsbedingten Gründen zum 31.03.2010. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, der das Arbeitsgericht Hagen mit Urteil vom 13.10.2011 (4 Ca 2215/10) stattgab. Mit Urteil vom 25.10.2012 (15 Sa 1890/11) hat die erkennende Berufungskammer die von der Beklagten eingelegte Berufung zurückgewiesen.
Vor dem Hintergrund jenes Rechtsstreits vereinbarten die Parteien in schriftlicher Form ein Beschäftigungsverhältnis ab dem 30.05.2011, auflösend bedingt durch eine rechtskräftige Entscheidung in dem Verfahren 4 Ca 2215/10 = 15 Sa 1890/11. Der Kläger setzte seine Tätigkeit zunächst fort.
Am 22.08.2011 überreichte der bei der Beklagten beschäftigte Arbeitnehmer R1 dem Kläger acht schriftliche Abmahnungen, alle datierend vom 22.08.2011. Für die inhaltlichen Einzelheiten der Abmahnungen wird verwiesen auf Bl. 52 - 65 d. A..
Wegen der Behandlung eines Patienten kam es am 02.09.2011 zu Unstimmigkeiten; die Einzelheiten sind streitig. Jedenfalls äußerte sich der Kläger gegenüber dem Patienten etwa wie folgt: "Na, wenn sich das nicht mal entzündet. Was nicht alles für's Geld getan wird".
Wegen dieses und eines weiteren, ebenfalls streitigen Vorfalls beantragte die Beklagte mit am 15.09.2011 beim LWL-Integrationsamt Westfalen, eingegangenem Antrag die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Mit bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 04.10.2011 eingegangenem Einschreiben des Integrationsamtes vom 30.09.2011 (Bl. 66 d.A.) wies dieses auf die Fiktion des § 91 Abs. 3 SGB IX hin.
Die Beklagte erklärte sodann mit Schreiben vom 06.10.2011, dem Kläger am selben Tag zugegangen, die fristlose Kündigung.
Mit seiner beim Arbeitsgericht am 20.10.2011 eingegangenen Feststellungsklage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewehrt.
Er hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Sie könne vom objektiven Empfängerhorizont schon nur als Kündigung des Prozessbeschäftigungsverhältnisses gewertet werden. Die Kündigung sei nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt worden. Kündigungsgründe lägen zudem nicht vor, insbesondere rechtfertige weder seine Bemerkung gegenüber dem Patienten noch der weitere Vorwurf bezogen auf den Patienten L. die Kündigung. Inhalt bzw. Richtigkeit der Abmahnungen vom 22.08.2011 bestreite er.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 06.10.2011 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, die fristlose Kündigung sei rechtswirksam und insbesondere unverzüglich erklärt worden. Nach Fristablauf am 29.09.2011 sei es überzogen ihr aufzubürden, sich innerhalb von vier Stunden am Morgen des 30.09.2011 nach der Erteilung der Zustimmung zu erkundigen. Nach Eingang des Schreibens des Integrationsamtes am 04.10.2011 sei dem Kläger die Kündigung zwei Tage später zugegangen; dies sei ausreichend. Die Vorfälle mit den beiden Patienten stellten auch wichtige Gründe für die Kündigung dar.
Das Arbeitsgericht Hagen hat der Klage mit Urteil vom 27.04.2012 stattgegeben. Es hat seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:
Die Beklagte habe mit der streitigen Kündigung das seit dem Jahr 1986 bestehende Arbeitsverhältnis kündigen wollen. Dies habe sie in ihren Schriftsätzen verdeutlicht. Auch machte ansonsten die vorherige Einschaltung des Integrationsamtes keinen Sinn.
Die dem Kläger am 06.10.2011 zugegangene Kündigung sei unwirksam, da nicht unverzüglich im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX erklärt. Die zweiwöchige Frist des § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX sei am 29.09.2011 abgelauf...