Entscheidungsstichwort (Thema)
unwirksame Entgeltvereinbarung. Lohnwucher. Arbeitsentgelt. Sittenwidrigkeit der Entgeltvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Eine Beschränkung des Entgelts auf Provisionseinnahmen kann sittenwidrig sein, wenn es dem Arbeitnehmer nicht möglich ist, trotz aller Mühe zu einer angemessenen Vergütung zu kommen. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aus betrieblichen Gründen gar nicht in der Lage ist, die vereinbarten Provisionen zu verdienen. Der Arbeitnehmer trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast.
Normenkette
BGB § 612 Abs. 1-2, § 138 Abs. 2, § 611 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 26.04.2012; Aktenzeichen 1 Ca 77/12) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 26.04.2012 - 1 Ca 77/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Entgeltansprüche des Klägers.
Der Kläger war in der Zeit ab dem 01.04.2010 bei der Beklagten, die ein Unternehmen zur Vermittlung von Finanzdienstleistungen und Versicherungen betreibt, gemäß schriftlichen Angestelltenvertrags vom 24.02.2010 (Bl. 4 bis 6 d.A.) als angestellter Berater im Außendienst beschäftigt. Neben einer monatlichen Grundvergütung von 500,00 € vereinbarten die Parteien Provisionen nach Maßgabe des § 3 Abs. 2 des Angestelltenvertrags. § 1 Abs. 2 des Vertrags sah eine Ausbildung des Klägers zum “Versicherungsfachmann IHK" vor, die in einem zusätzlichen Vertrag geregelt werden sollte. Zu der Ausbildung kam es anschließend zu keiner Zeit.
Von April 2010 bis Januar 2011 (einschließlich) erhielt der Kläger an Entgelt insgesamt 7.202,39 €. Diese Summe setzt sich wie folgt zusammen:
April 2010 |
600,00 € brutto |
Mai 2010 |
700,00 € brutto |
Juni 2010 |
756,29 € brutto |
Juli 2010 |
799,47 € brutto |
August 2010 |
873,85 € brutto |
November 2010 |
914,90 € brutto |
Dezember 2010 |
1.305,20 € brutto |
Januar 2011 |
1.252,68 € brutto |
Summe |
7.202,39 € brutto |
Mit seiner am 20.01.2012 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger einen Anspruch auf weiteres Entgelt geltend gemacht und hierzu die Ansicht vertreten, die vertragliche Vergütungsabrede sei nichtig, es bestehe ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Im Versicherungsgewerbe betrage üblicherweise die Vergütung für einen Angestellten im ersten Berufsjahr 2.102,00 € brutto, die Zweidrittelgrenze liege somit bei 1.401,33 € brutto. Er habe daher Anspruch auf Vergütungsdifferenz in Höhe von insgesamt 9.613,61 €. Für die Berechnung wird verwiesen auf die Aufstellung des Klägers auf Bl. 3 d.A..
Er sei auch nicht ohne einschlägige Branchenausbildung, da er erfolgreich zum Bürokaufmann ausgebildet worden sei. Ein Bürokaufmann verdiene monatlich im Durchschnitt 2.175,00 € brutto.
Die Beklagte habe von vornherein absehen können, dass er aus Grundvergütung und Provisionen keinen angemessen Verdienst würde erzielen können. Eine Neuakquise von zwei Kunden pro Woche sei auch nicht völlig unproblematisch. Hilfsweise sei die Bewertung der Einheiten im Arbeitsvertrag sittenwidrig. Äußerst hilfsweise stütze er sein Begehren auf einen Schadensersatzanspruch wegen nicht stattgefundener Ausbildung. Im Übrigen sei er für die Beklagte in einem Umfang von 40 Wochenstunden tätig und allein am 10./11.02.2011 arbeitsunfähig gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.613,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Verweis auf den Arbeitsvertrag der Parteien hat sie gemeint, die vereinbarte Grundvergütung mit der Möglichkeit des Hinzuverdienstes von Provisionen sei für den Kläger als Brancheneinsteiger ohne jede berufsspezifische Erfahrung und Ausbildung angemessen und ausreichend. Die im Vertrag avisierten acht Überprüfungsaufträge pro Monat seien auch für einen Neueinsteiger leicht zu erreichen gewesen. Dazu habe es jedoch an Bemühungen des Klägers gefehlt. Die Beklagte hat bestritten, dass ein Angestellter im privaten Versicherungsgewerbe nach dem Gehaltstarifvertrag 2.102,00 € brutto monatlich verdiene; der Gehaltstarifvertrag gehe zudem von einem ausgebildeten Versicherungskaufmann aus. Ansprüchen des Klägers stehe im Übrigen die Ausschlussklausel des § 10 des Arbeitsvertrags entgegen.
Mit Urteil vom 26.04.2012 hat das Arbeitsgericht Paderborn die Klage abgewiesen. In seinen Entscheidungsgründen hat es angenommen, dass die vertragliche Vergütungsvereinbarung nicht rechtsunwirksam sei. Es sei bei der Beurteilung, ob eine deutlich unterwertige Bezahlung erfolgt sei, auf alle Umstände des Einzelfalls abzustellen. Der Kläger habe aber nicht schlüssig dargelegt, warum es unmöglich sein solle, ein wie im vertraglichen Berechnungsbeispiel dargestelltes Bruttoentgelt von 3.700,00 € zu erzielen. Der Kläger hätte detailliert dartun müssen, aus welchen Gründen die Akquise von zwei Kunden pro Woche nicht möglich gewesen sei. Auch stehe dem Kläger kein ...